LENOS
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Lenos Verlag
Florianne Koechlin (Hg.)
Jenseits der Blattränder
Eine Annäherung an Panzen
Mit Beiträgen von
Daniel Ammann, Denise Battaglia, Gertrud Fassbind,
Bastiaan Frich, Thomas Gröbly, Florianne Koechlin,
Martin Ott, Beat Sitter-Liver, Beatrix Sitter-Liver,
Patrik Tschudin und Andres Wiemken
Erste Auflage 2014
Copyright © 2014 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Copyright der einzelnen Beiträge bei den Autorinnen und Autoren
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlag: Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
Umschlagbild: Florianne Koechlin
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 444 4
Für ihre wertvolle Mitarbeit und ihre Diskussionsbeiträge danken wir
Niklaus Bolliger-Flury, Martin Bossard, Bettina Dyttrich, Max Eichen-
berger, Eva Gelinsky, Roger Kalbermatten, Sabine Keller, Lorenz Kunz,
Peter Kunz und Amadeus Zschunke. Liselotte Portmann vom Restau-
rant Bioland in Olten danken wir für die wunderbare Bewirtung.
Jenseits der Blattränder
Eine Annäherung an Pflanzen
Inhalt
Wie dieses Buch zustande kam 9
I. Wer ist die Pflanze? 15
Eine Pflanze ist Viele 17 Die Pflanze ist Standort 20 Eine Pflanze
ist Kommunikation 23 Kommunikation oder Signalaustausch? 26
Die Pflanze ist Beziehung 30 Gefressen werden zum eigenen Vor-
teil? 34 Die Pflanze ist ein soziales Wesen 37 Die Pflanze ist ein
Subjekt 39 Die Pflanze ist Teil des Absoluten – »Subjekt und Objekt
sind nur eines« 40 Die Pflanze ist Umstülpung 44 Die Pflanze ist
potentiell unsterblich 46 Wir sind mit der Pflanze verwandt 48
II. Was leistet das Pflanzengenom? 51
Pflanzengenome beinhalten Ungeahntes 53 Pflanzen erinnern sich an
vergangene Ereignisse 58 Wissen vom Nichtwissen über Pflanzen 63
III. Wovon erzählt uns die Pflanze? 67
Pflanzen begründen unsere Kultur 69 »Processes of no return«. Über
die zugreifende Naturwissenschaft 71 Wie Landwirte über Pflanzen
denken 77 »Die Reispflanze war meine Lehrerin« 82 Schlaraffen-
land 85 An den Zeichen erkennt man die Pflanze: Signaturen-
lehre 87 Züchtung als »Gespräch« 92
IV. Was macht die Pflanze mit uns und mit anderen
Lebewesen? 95
Die Pflanze speichert Licht und liefert es an Lebewesen 97 Pflanzen
liefern die stoffliche Grundlage für alles terrestrische Leben 100 Die
Pflanze sorgt für die lebensnotwendige Ordnung 104 microRNA: Neue
Kommunikationsebene zwischen Pflanzen und Menschen? 108 Wie uns
Pflanzen ausserdem helfen 111 Wie Pflanzen in die Sprache hinein-
wachsen 113
V. Pflanzen hören? 115
Vielleicht hören Pflanzen Mozart-Klänge und Klickgeräusche 117 Das
Gras wachsen hören 119
VI. Wie verführen Pflanzen uns? 123
Wo die Pflanze zum Menschen wird 125 Farben, Duft und Ge-
schmack – die sekundären Pflanzenstoffe 127 Pflanzen bezirzen
den Stadtmenschen – nicht nur in Basel 131 Schönheit der Pflan-
zen 136 Ehrenpreis fürs Lungenkraut 139 Pflanzen als Kunst-
partner 140 Pflanzen verstehen bedeutet Gegenseitigkeit 143
VII. Was fliesst dazwischen? 149
Die Pflanze ist Zwischenraum 151 Gefangen in einer Welt-
sicht 154 Wie Pflanzen uns Menschen domestizieren 157 Das sich
wandelnde Kleid der Mutter Erde 161 Eine Nutzpflanze wird Unkraut
und wieder Nutzpflanze 164 Unlösbare Verflechtungen von Mensch und
Pflanze 168
VIII. Und unsere Verantwortung? 171
Gedanken zur Grundlage für die Würde auch der Pflanze 173 Wege
zur Würde 175 Etwas über Verantwortung für und Nutzung von
Pflanzen 179 Zuspruch der Würde als Regelung der eigenen Pra-
xis 181 Würde der Pflanze als Grenzbegriff mit ethischen Konsequen-
zen 182 Rechte für Pflanzen 184 Epilog: Grundregeln der Ethik für
Pflanzen 186
Anhang 193
Pflanzen neu entdecken – Rheinauer Thesen zu Rechten von Pflan-
zen 195 Züchtung als »Gespräch«. Rheinauer Thesen zur Ökologischen
Pflanzenchtung 204 Anmerkungen 211 Literatur 227 Autorin-
nen und Autoren 234 Bildnachweis 237
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Wie dieses Buch zustande kam
Was und wer ist die Pflanze? Diese Frage war wegleitend
r das vorliegende Buch. Darin geht es um die erstaun-
lichen Eigenheiten und Fähigkeiten von Pflanzen, darum,
wie sie kommunizieren und Beziehungsnetze aufbauen, die
sie mit ihrer Umgebung und mit uns verbinden.
Pflanzen gelten vielen Naturwissenschaftlern immer
noch als eine Art Bioautomaten mit vorprogrammierten Re-
flexen. Doch in letzter Zeit wurde so viel entdeckt, dass sol-
che Erklärungsmuster nicht mehr genügen. Eine Pflanze ist
mehr. Vieles wissen wir nicht. Der Umgang mit Nichtwis-
sen ist schwierig. Was aber die neuen Erkenntnisse zeigen:
Es braucht ein anderes Herangehen an die Pflanze. Bisherige
Vorstellungen über sie müssen korrigiert, die neuen Bilder
über die Pflanze in unser Denken und in unseren Umgang
mit ihr integriert werden. So kann Jenseits der Blatt nder
auch als Streitschrift wider mechanistische Denkmuster ge-
lesen werden.
Seit über acht Jahren denken wir über das Wesen der
Pflanze und ihre Rechte nach. Aus dieser Arbeit entstanden
die Rheinauer Thesen I zu Rechten von Panzen. Sie wurden
am 6. September 2008 am zweiten Fest der Vielfalt und der
Sinne »1001 Gemüse & Co.« in Rheinau präsentiert. Im
Juni 2011 folgten die Rheinauer Thesen II zur Ökologischen
Pflanzenzüchtung. Nun legen wir die Fortsetzung vor.
Bei den Rheinauer Thesen I hatten wir in einem ersten
Schritt versucht, uns vorsichtig und von verschiedenen Sei-
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ten her der Pflanze anzunähern. Daraus leiteten wir Rechte
ab (siehe S. 195–203). Die Rheinauer Thesen II erschienen un-
ter dem Titel Züchtung als »Gespräch«. Rheinauer Thesen zur
Ökologischen Pflanzenzüchtung. Sie waren ein Plädoyer für eine
chtung auf dem Feld, »im Gespräch« mit der Pflanze,
denn Züchtung findet heute vorwiegend im Labor statt. Die
Rheinauer Thesen II entwickelten sich zu einem Leitbild, das
zu einer Art »Verfassung« für das Projekt zur chtung von
Biosaatgut der Bio Suisse wurde (siehe S. 204–210).
Jenseits der Blattränder ist kein Thesenpapier mehr; es
heisst darum auch nicht »Rheinauer Thesen III«. Das Buch
besteht aus Fragmenten, es ist kein in sich geschlossenes
Werk. Das war von Anfang an so gewollt. Fragmente sind
Bruchstücke, Gedankensplitter und tastende Annäherun-
gen. Sie sollen »nur« Ahnungen vermitteln, den Raum
öffnen r das grosse Ganze. Unsere Fragmente sind un-
vollständig, notgedrungen. Sie geben nicht nur wissen-
schaftliche Erkenntnisse, sondern auch Erfahrungen und
Intuitionen wieder. Wir haben den Blick auf das gerichtet,
was zwischen den Pflanzen und ihren Partnern passiert.
Wir haben insbesondere auch der Wirkung von Pflanzen
auf den Menschen nachgespürt wie sie uns in Form von
Lebensmitteln, in der Landwirtschaft oder in der Ästhetik
beeinussen.
Wir wollten Grenzen ausloten, die wir selbst noch nicht
kennen, an Orte gelangen, an denen wir mit den Rheinauer
Thesen I und II noch nicht waren. Am Schluss hatten wir
mehr Fragen als Antworten.
Die Beiträge wurden von den einzelnen Autorinnen und
Autoren entworfen und dann in der ganzen Gruppe dis-
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kutiert. Alle Texte tragen deshalb eine persönliche Hand-
schrift, zeigen einen jeweils eigenen Schreibstil. Es sind
aber die Gruppendiskussionen, die das Wesentliche dieses
Buches ausmachen. Sie inspirierten uns zu immer neuen
Exkursen und zu immer neuen Verknüpfungen. Darum
werden neben den Autorinnen und Autoren auch jene auf-
gehrt, die mitdiskutierten und uns dabei oft zu neuen
Horizonten führten.
Unsere langen und intensiven Diskussionen machten
auch deutlich, dass wir uns nicht immer einig darüber wa-
ren, wer die Pflanze ist. Wir merkten, dass wir die Pflanze
in einigen Bereichen unterschiedlich betrachten und wahr-
nehmen. Diese Erfahrungen sind geprägt von persönlichen
Hintergründen und Wertvorstellungen. Es gab zum Beispiel
Diskussionen darüber, ob Formulierungen wie die folgende
die Pflanzen vermenschlichen: »Wir snden schliesslich vor
einem Seienden, das nicht fordert, sondern duldet; das nicht
von Eigensucht und Abgrenzung bestimmt lebt, sondern
aus der Lust des Sichverstmens, gelenkt und gezogen von
der Neigung zum Zusammenwirken. ((S. 44f.). Diese
Auffassung konnten einige unter uns nicht nachvollziehen.
Andere hingegen machten dieselben Einwände gegen die
Formulierung: »Pflanzen () haben Freunde und Feinde,
bilden Allianzen, sie betreiben ›Vetternwirtschaft‹ () und
verhalten sich abwehrend gegenüber Fremden. ()« (S. 39).
Wir lassen die Differenzen stehen. Sie ermöglichen ver-
schiedene Zugänge zu den Pflanzen, machen verschiedene
Türen auf.
Aus dem Ganzen ergeben sich Konsequenzen: Wenn
Pflanzen mehr sind als blosse Objekte, wenn sie als ver-
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netzte Subjekte eines grossen Beziehungsgeflechts, von dem
auch wir Teil sind, angesehen und erfahren werden, dann
stellt sich auch die Frage unserer Beziehungen zu ihnen neu.
Welches ist unsere Verantwortung ihnen gegenüber?
Neue Erkenntnisse öffnen auch neue Strategien für eine
Landwirtschaft von morgen. Und r einen sorgfältigeren
(und bewussteren) Umgang mit Lebensmitteln.
Florianne Koechlin,
März 2014