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Lenos Verlag
Tom Zürcher
Der Spartaner
Roman
Erste Auflage 2016
Copyright © 2016 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlag: Neeser & Müller, Basel
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 468 0
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Danke Gino, danke Joachim.
Danke Andrea, Andreas, Boris, Christoph, Denis, Dominik, Gertrud,
Hanspeter, Jack, Joho, Luigi, Patric, Sebahat, Simon, Stefan, Theres.
Der Verlag dankt der Fachstelle Kultur Kanton Zürich
r die Unterstützung.
Für Isabelle
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Liniert oder kariert?
Weiss bitte. Kann ich besser fliegen.
Bleistift oder Kugelschreiber?
Egal. Aber ich schreibe nicht über den Spartaner.
Das müssen Sie auch nicht.
Wirklich nicht?
Sie müssen nichts, was Sie nicht möchten.
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Eigentlich wollte ich frei sein, und jetzt sitze ich hier in
diesem Hotel ohne Fenster und schreibe. Ich nnte auch
malen oder basteln, aber ich habe mich rs Schreiben ent-
schieden, weil mir das schon im Gymnasium leichtgefallen
ist. Der Deutschlehrer hat meine Aufsätze immer der Klasse
vorgelesen. Sie waren lang und verrückt, und er sagte, ich
solle nicht solche sonderbaren Vergleiche anstellen, aber ich
schrieb trotzdem weiter wie vom Affen gebissen, und die
Klasse grölte oder weinte.
Ich habe Flügel. Zu grosse, wie sie hier sagen, aber ich bin
froh um sie. Dank ihnen können sie mich nicht festhalten,
selbst hier nicht, wo sie mich gefangen halten. Nicht richtig
gefangen, es ist nur zur Beobachtung, weil der Spartaner
durchgedreht ist. Mutter hat das angeordnet oder die Poli-
zei, aber es wäre nicht tig, ich bin okay. Das findet auch
meine Ärztin, auch wenn sie es nicht so direkt sagen darf.
Sie ist viel zu jung, meine Ärztin, kaum älter als ich. Sie ver-
sucht, kühl und distanziert zu sein, spielt die Erwachsene,
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dabei ist sie höchstens dreissig. Aber sie hat eine schöne
Stimme, warm und weich und doch leicht kratzig hinten.
Karamell. Wenn sie mir zurt und auf ihrem Block her-
umkritzelt, macht sie so komische Schmatzlaute, als wolle
sie von ihrer Stimme kosten. Man kriegt Hunger davon.
Schreiben Sie einfach drauflos, hat sie gesagt. Schreiben Sie
alles auf, was Ihnen durch den Kopf geht. Mir geht aller-
hand durch den Kopf, wissen Sie. Gedanken sind wie weisse
Kaninchen. Kaum ist mehr als einer da, rammeln sie drauf-
los, und plopp! sind es hundert, und alle hoppeln durchein-
ander und knabbern meine Kabel an. Die Flügel entzün-
den sich, und ich schiesse hoch, sause nieder, und die Welt
explodiert in einer fürchterlich goldenen Wanne. Ganz so
schlimm ist es nicht. Man zittert zwar, friert aber nicht.
Man zittert nicht mal.
Sie wird das hier lesen, denke ich. Sie wird lesen Hotel ohne
Fenster und mich in der nächsten Sitzung fragen: Was ver-
stehen Sie darunter? Wenn sie spricht, stellt sie hauptsäch-
lich Fragen. Doofe Fragen. Aber mit einer Karamellstimme
kann man sich das leisten. Dann ist das Leben ein Kinder-
spiel, alle hören einem zu, egal was man sagt.
Ich will auch so eine Stimme. Ich rauche mir eine. In mei-
nem Zimmer darf ich rauchen, so viel ich will. Ich rauche
und schreibe. Es ist alles voller Qualm, man müsste das
Fenster öffnen, aber das Fenster gibt es nicht mehr, es hat
sich in die Mauer zurückgezogen. Es gibt nur noch mich,
das Pult und das weisse Papier. Und eine kleine Tischlampe,
der ein fröhlich-trauriges Licht entschlüpft.
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Wie geht es Ihnen?
Gut.
Schlägt Ihnen das Wetter nicht aufs Gemüt?
Welches Wetter?
Es regnet in Strömen.
Ich sehe keinen Regen.
Ich habe Ihren Text gelesen.
Ich weiss.
Sie schreiben gut.
Danke.
Hat tatsächlich mal jemand geweint nach Ihrem Aufsatz?
Zumindest in meiner Vorstellung.
Und in Wirklichkeit?
Ist doch egal. Gelacht haben sie jedenfalls, da bin ich mir
sicher.
Der Spartaner auch?
Nein.
Wo ist er jetzt?
Der Spartaner? Sie wissen, wo er ist.
nnen Sie es sagen?
Klar, wieso nicht?
Sagen Sie es.
Er ist tot.
Was fühlen Sie dabei?
Wobei?
Wenn Sie es sagen.
Dass er tot ist? Nicht viel. Ich habe diese Sitzungen nicht
so gern, wissen Sie.
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Sie sind aber wichtig.
Wieso?
Wir müssen etwas herausfinden.
Über den Spartaner?
Auch.
Ich weiss, was Sie wissen wollen. Woher er die Pistole
hatte. Die Polizei wollte das auch wissen.
Woher hatte er sie?
Keine Ahnung.
Hatte er sie schon während der Schulzeit?
Nö, erst später, als er in der Dachkammer wohnte.
Wussten Sie davon?
Er hat sie mir mal gezeigt.
Machte Ihnen das nicht Angst, dass er eine Waffe besass?
Nein. Aber es passte nicht zu ihm. Er besass nichts mehr,
weder Stuhl noch Bett, noch Kaffeetasse und dann
plötzlich diese Pistole aus glänzendem Metall.
Kann es sein, dass er sie von Ihnen hatte?
Wie kommen Sie darauf?
Nur so ein Gedanke.
Ein blöder Gedanke.
Wann haben Sie den Spartaner das erste Mal gesehen?
Als er in unsere Klasse kam.
Vorher hatten Sie sich nie getroffen?
Nein. Aber wir waren sofort Freunde. Es war, als würden
wir uns schon ewig kennen.
Hatten Sie noch andere Freunde in der Klasse?
Wir waren damals alle Freunde. Die beste Klasse, die es
je gab. Nach der Matura sahen wir uns weiterhin, trafen
uns jeden letzten Donnerstag im Monat im Mörder.
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Mörder?
Eine alte Hotelbar. Heisst wirklich so. Lange Zeit ging
alles gut, unsere Klasse existierte einfach weiter. Bis die
anderen anfingen, sich zu verändern. Älter wurden, käl-
ter. Erwachsen halt.
Ihr Freund hat sich doch sicher auch verändert.
Der war schon erwachsen, als er zu uns stiess. Er kam aus
einer höheren Klasse, musste das Schuljahr wiederholen
und war schon viel weiter als wir. Er war uns allen über-
legen. Klar hat er sich mit den Jahren verändert, aber
nicht so stelzbeinig wie die anderen.
Stelzbeinig?
Die anderen kamen plötzlich wie Walküren daher, in
Strapsen und Containerfarben. Hauptsache, es kübelte.
Das verstehe ich nicht.
Egal, ist nicht so wichtig. Ich bin müde.
Wollen wir eine Pause machen?
Schon klar, dass Sie es nicht verstehen.
Wieso meinen Sie?
Es gibt nicht viele, die mein Zeug verstehen.
Der Spartaner?
Der verstand mich. Und ich ihn. Ich verstehe überhaupt
jeden. Ich kann verstehen, wieso wer was tut, ist immer
alles nachvollziehbar und logisch. Nur mich, mich ver-
steht keiner. Ich mache Kpfe in die Köpfe.
Das klingt traurig.
Ist es aber nicht. Man lernt, damit zu leben. Der Sparta-
ner sagte, meine Gedanken hätten keinen Platz im gros-
sen Bürgertheater, ich sei zu frei im Kopf. Drum dürfe
ich nicht mitspielen, nur danebenstehen und zuschauen.
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Er selber, durfte er mitspielen?
Schon. Aber er wollte keine gewöhnliche Rolle, er wollte
etwas Bedeutendes sein. Und dann hat er sich übernom-
men, und es ist zu dieser Tragödie gekommen. Darf ich
auf mein Zimmer?
In Ordnung. Wir machen nach dem Mittagessen weiter.
Ruhen Sie sich ein wenig aus.
Darf ich schreiben?
Sie dürfen immer schreiben.
Ich schreibe unser Gespräch auf.
Tun Sie das.
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Der Speisesaal ist schön. Viel gelbes Licht, weiss gedeckte
Tische und hinten an der Wand so ein spezieller Glanz. Ich
nehme das Gulasch. Andere nehmen auch das Gulasch,
und ich sehe ihnen beim Essen zu. Sie kauen das Fleisch
und schlürfen die Sauce. Lauter Blödmänner, die sich haben
einsperren lassen. So wie ich. Blödmänner unter sich, mit
Zwiebeln und Paprika in der schwarzen Sauce.
Einer der Blödmänner hat sich die Backe vollgeschmiert,
ein fetter Striemen bis hinters Ohr. Ein anderer pickt mit
der Gabel die Fleischstücke raus und jammert, die armen
Viecher, die armen Viecher. Nachdem er alles runterge-
schluckt hat, steht er auf und leckt dem andern die Sauce
von der Backe. Nicht wirklich, das stelle ich mir nur vor,
jetzt, da ich wieder in meinem Zimmer hocke und übers
weisse Papier fliege. Ich stelle mir vor, wie er ihm das Ge-

Tom Zürcher
Der Spartaner

Roman

Hardcover, mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-85787-468-0
Seiten 256
Erschienen 25. Februar 2016
€ 19.90 / Fr. 27.00

In einer brillanten und lakonischen Sprache nähert Tom Zürcher sich einem gesellschaftlichen Tabuthema.

Ein junger Mann Mitte zwanzig findet sich unversehens in einem »Hotel ohne Fenster« wieder – einem Privatsanatorium, in das er nach dem letzten Treffen mit seinen ehemaligen Schulkameraden eingeliefert wurde. Sein bester Freund, den alle nur den »Spartaner« nennen, hatte bei dieser Zusammenkunft eine Pistole gezogen. Minutiös hält der Protagonist alle Gespräche und Erlebnisse im Sanatorium fest.

Mit Hilfe seiner Psychiaterin ergründet der junge Mann seine Faszination für den Spartaner, den schillernden Schulfreund. Wer war dieser Junge, der sich dem Konsum verweigerte, die Erwachsenen verhöhnte, der frei und allen überlegen war? Nach und nach kommt etwas zum Vorschein, womit niemand gerechnet hat – auch die Ärztin nicht.

Mit seinem Roman Der Spartaner hat Tom Zürcher ein dichtes, tragikomisches Psychogramm eines Menschen geschaffen, der ein verdrängtes Kindheitstrauma mit seiner überbordenden Phantasie kompensiert. In einer brillanten und lakonischen Sprache nähert Tom Zürcher sich einem gesellschaftlichen Tabuthema.

Pressestimmen

Eine höchst vergnügliche Lektüre mit scharfsinnig-witzigen Dialogen.
— Renata Schmid, kulturtipp
Ein überaus spannendes Buch, voller Witz und Traurigkeit.
— Marianne Fehr, Schweizer Familie
Der Ich-Erzähler ist ein geschickter Manipulator. Er versteht es, seine Ärztin um den Finger zu wickeln. Und den Leser.
— Markus Wüest, Basler Zeitung
Der junge Klinik-Patient sei im Gymi ein sehr begabter Aufsatzschreiber gewesen; seine Texte seien kurios gewesen, aber auch unterhaltsam und nicht ohne Tiefsinn, heisst es an einer Stelle. Das Gleiche lässt sich über diesen originellen Roman sagen.
— Thomas Widmer, Tages-Anzeiger
Der Spartaner ist ein raffiniertes Spiel, in dem die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge, Verrücktheit und gesellschaftlicher Konvention, Erinnerung und Verdrängung auf gleichsam unterhaltende wie tiefsinnige Art und Weise ausgelotet werden.
— buecherrezension.com