LENOS
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LENOS POCKET 125
www.lenos.ch
Tajjib Salich
So, meine Herren
Sämtliche Erzählungen
Aus dem Arabischen
von Regina Karachouli
Lenos Verlag
Arabische Literatur im Lenos Verlag
Herausgegeben von Hartmut Fähndrich
Titel der arabischen Originalausgaben:
‘Urs az-Zain / Dûmat Wadd H
.
âmid
Copyright © 1964/1969 by Tajjib Salich
Die Erzählung »Der Zypriot« (ar-Ragˇul al-qubrus
.
î) erschien
im Januar 1976 in der Zeitschrift Magˇallat ad-Dauh
.
a.
Die Übersetzung aus dem Arabischen wurde unterstützt durch die Gesellschaft
zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. in Zusam-
menarbeit mit der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.
Zur Erleichterung der Aussprache arabischer Namen wurden in der Übersetzung
betonte lange Silben mit einem Zirkumflex (
^
) versehen.
LENOS POCKET 125
Erste Auflage 2009
Copyright © der deutschen Übersetzung
2000/2004 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlag: Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
Umschlagfoto: Tajjib Salich
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 725 4
So, meine Herren
Inhalt
Sains Hochzeit 9
Eine Palme am Bach 109
Eine Handvoll Datteln 121
Ein Brief an Eileen 129
Wadd Hâmids Dumpalme 135
Wenn sie kommt 155
So, meine Herren 171
Vorbehalte 185
Der Zypriot 191
9
Sains Hochzeit
Halîma, die Milchhändlerin, kam wie gewohnt vor Sonnen-
aufgang.
»Weisst du schon das Neueste?« fragte sie Âmina, indem
sie ihr Milch für einen Piaster eingoss. »Sain wird heira-
ten!«
Beinahe wäre Âmina der Krug aus der Hand gefallen.
Halîma nutzte ihre Verblüffung und beschummelte sie um
ein bisschen Milch.
Vormittags lag der Hof der Mittelschule still und verlassen,
die Schüler waren in ihre Klassenzimmer verschwunden. In
der Ferne erschien ein Junge. Keuchend, den Saum seines
Obergewands unter die Achsel geklemmt, flitzte er zur Tür
der zweiten Klasse, in die Stunde des Direktors.
»Esel! Weshalb kommst du zu spät?«
Turaifis Augen blitzten listig. »Effendi, haben Sie die
Neuigkeit schon gehört?«
»Was denn für eine Neuigkeit, du dummer Bengel!«
Der Zorn des Schulleiters brachte den Jungen nicht aus
der Fassung. Er verkniff sich das Lachen und sagte: Ȇber-
morgen heiratet Sain.«
Dem Schulleiter klappte vor Überraschung das Kinn
herunter, und Turaifi war noch einmal gerettet.
Im Suk schritt Abdalsamad mit hochrotem Gesicht schnur-
stracks zu Scheich Alis Laden. Kein Zweifel, er war fuchs-
teufelswild. Scheich Ali, der Tabakhändler, hatte bei ihm
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Schulden, die er nun bereits seit einem Monat vor sich her-
schob. Abdalsamad war fest entschlossen, sie heute einzu-
treiben, egal wie – auf Biegen oder Brechen.
»Also, Ali, du meinst wohl, ich schreibe mein Geld in
den Wind? Was bildest du dir eigentlich ein?«
»Herrgott, Hadsch Abdalsamad, beruhige dich erst mal.
Nimm Platz, ich hole dir eine Tasse Kaffee.«
»Dein Kaffee kann mir gestohlen bleiben, Mann. Hoch
mit dir! Schliess deinen Geldschrank auf, und rück meine
Piaster heraus! Falls du aber pleite bist, dann gib’s wenig-
stens zu.«
Scheich Ali spuckte seinen Priem aus. »So setz dich doch,
und lass dir das Neueste berichten.«
»Mann, ich hab keine Zeit, weder für dich noch für deine
Geschichtchen. Ich kenne dich. Du willst mich bloss dusse-
lig reden und dir mein Geld unter den Nagel reissen.«
»Ich schre, dein Geld liegt parat. Nun setz dich hin,
dass ich dir die Geschichte von Sains Hochzeit erzähle.«
»Die Hochzeit von wem?«
»Na von Sain.«
Abdalsamad setzte sich. Fassungslos legte er beide Hände
auf seinen Kopf und verstummte für eine Weile. Scheich
Ali betrachtete ihn, voller Genugtuung über die Wirkung
seiner Worte. Endlich fand Abdalsamad die Sprache wie-
der: »Es gibt keine Gottheit ausser Gott, und Muhammad
ist Gottes Gesandter! Beim Propheten, Scheich Ali, was ist
denn das für eine Geschichte?«
Auch an diesem Tag kam Abdalsamad nicht zu seinem
Geld.
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Mittags war die Nachricht in aller Munde. Sain lungerte
am Brunnen in der Dorfmitte herum, füllte den Frauen die
Krüge und trieb wie immer seine Possen. Die Kinder schar-
ten sich um ihn und begannen zu singen: »Sain geht auf
Brautschau Sain geht auf Brautschau « Als Antwort
bewarf er sie mit Steinen. Bald zupfte er ein junges Mäd-
chen am Kleid, bald stupste er eine Frau in die Taille oder
zwickte eine andere in den Schenkel. Die Kinder grölten,
die Frauen kreischten und juchzten. Doch all dieses Lachen
wurde von Sains Gelächter übertönt, das zum Dorf gehörte,
seit er geboren wurde.
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Neugeborene begrüssen das Leben mit Geschrei, das ist
eine Binsenweisheit. Aber bei Sain lief alles anders. Seine
Mutter und die Frauen, die bei der Geburt halfen, konnten
es beschwören. Kaum berührte er die Erde, als er in Lachen
ausbrach. Und so ist er sein Lebtag geblieben. Als Erwach-
sener besass er nur zwei einsame Zähne, einen oben und ei-
nen unten. Seine Mutter behauptete allerdings, früher habe
er den ganzen Mund voll perlweisser Hackerchen gehabt.
Als er sechs war, hatte sie ihn eines Tages zu ihren Ver-
wandten mitgenommen. Bei Sonnenuntergang kamen sie
an einer Ruine vorbei, die angeblich von Geistern bewohnt
war. Ptzlich blieb Sain wie festgenagelt stehen. Er begann
zu zittern, als hätte er Schüttelfrost, und stiess einen lauten
Schrei aus. Danach musste er tagelang das Bett ten. Nach
seiner Genesung waren ihm alle Zähne ausgefallen, bis auf
den einen im Oberkiefer und den anderen im Unterkiefer.
Sain hatte ein langgezogenes Gesicht mit markanten
Wangenknochen und Kinnladen. Die Stirn wölbte sich
nach vorn. Seine kleinen, stets geteten Augen lagen tief
in den hlen. Sein Gesicht war vollkommen unbehaart,
es zeigte weder Brauen noch Wimpern. Auch als jungem
Mann wuchs ihm kein Schnauzer, geschweige denn ein
Vollbart.
Unter diesem Gesicht dehnte sich ein ewig langer Hals –
einer der vielen Spitznamen, die Sain von den Gassenjungen
verpasst bekam, lautete »die Giraffe«. Der Hals wiederum
steckte zwischen zwei starken Schultern, die mit dem rest-
lichen rper ein Dreieck bildeten. Seine Arme schlenker-
ten wie bei einem Affen. An den groben Handtellern sassen
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dürre Finger, die in langen, scharfen Nägeln endeten. Sain
schnitt sie niemals. Sein Brustkorb war eingezogen, der
Rücken dafür ein wenig bucklig, und mit seinen langen,
dünnen Beinen stakste er wie ein Kranich. Seine Plattfüsse
trugen die Spuren vieler Schrammen, denn Sain mochte
keine Schuhe anziehen. Er erinnerte sich ganz genau, wie
es zu jeder einzelnen Verwundung gekommen war. Zum
Beispiel die Narbe am rechten Fuss, die vom Knöchel über
den Spann hinweg in die Lücke zwischen den beiden ersten
Zehen führte.
»Also, Leute«, begann Sain zu erzählen, »zu dieser
Wunde gehört eine Geschichte.«
Machdschûb neckte ihn: »Was wird das schon r eine
Geschichte sein, du Schlitzohr? Stehlen bist du gegangen,
und dafür haben sie dich mit einem dornigen Ast ver-
walkt!«
Solche Scherze versetzten Sain in Hochstimmung. Fei-
xend liess er sich auf seinen Hintern fallen. Dann trommelte
er mit beiden Händen auf die Erde, reckte die Beine in die
Höhe und wieherte ohne Ende. Sein seltsames Gelächter,
das dem Iahen eines Esels ähnelte, steckte die anderen an,
bis sich die ganze Männerrunde in dröhnenden Lachanfäl-
len krümmte.
Schliesslich fasste sich Sain. Mit dem Ärmel wischte er
die Lachtränen ab, die ihm noch über die Wangen liefen.
»Ja! Ja!« rief er. »Stehlen bin ich gegangen!«
Machdschûb spöttelte wieder: »Was wolltest du denn sti-
bitzen, du Taugenichts? Vielleicht warst du auf der Suche
nach etwas Essbarem?«

Tajjib Salich
So, meine Herren

Sämtliche Erzählungen

Aus dem Arabischen von Regina Karachouli


Lenos Pocket 125
Paperback
ISBN 978-3-85787-725-4
Seiten 204
Erschienen August 2009
€ 12.00 / Fr. 22.00

Ausgaben
Paperback (2009)

Sämtliche Erzählungen – Sains Hochzeit sowie jene aus dem Band Eine Handvoll Datteln – des sudanesischen Autors, der im Februar 2009 starb, finden sich in diesem Taschenbuch vereint.

Die Erzählungen aus dem Band Eine Handvoll Datteln kreisen um Salichs grosses Thema, den Zusammenprall von Orient und Okzident, von Tradition und Moderne. Sie sind in einem sudanesischen Dorf am Nil angesiedelt. »Die Moschee, der Fluss, die Felder, sie waren die Wegzeichen unseres Lebens«, schreibt der Autor. In einer poetischen und bildhaften Sprache schildert er die islamische Kultur und das Leben der in Traditionen und Mythen verwurzelten Dorfbewohner, die zunehmend mit Fortschritt und Entwicklung konfrontiert werden.

Sains Hochzeit ist die wunderschöne und hinreissend komische Schilderung des Lebens eines Eigenbrötlers in einem sudanesischen Dorf. Sain hat einen Buckel und nur noch zwei Zähne im Mund, doch wenn er einmal zu scherzen beginnt, bringt er nicht nur die Männerrunde, sondern auch alle Hochzeitsgesellschaften in der Umgebung in Stimmung. Wegen seiner Fröhlichkeit und Lebenslust ist er im ganzen Dorf beliebt und gern gesehen, aber auch weil sein Auge immer auf die schönsten Mädchen fällt. Er preist die Schönheit der Auserwählten und erregt dabei so viel Aufsehen, dass sich elegante und wohlhabende Bewerber um das Mädchen scharen – Sain aber bleibt allein zurück. Als jedoch eines Tages der Asket Hanin prophezeit, Sain werde bald das »beste Mädchen im Dorf heiraten«, versetzt er damit alt und jung in Aufregung.

Pressestimmen

Das Werk Salichs gilt als Markstein der modernen arabischen Literatur.
— Freitag

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