Tengri« bedeutet »Herr der Götter«, »Tienschan« auf chi-
nesisch »Himmelsgebirge«. Es sind grossartige Namen,
angepasst dieser übermenschlichen Region an der Grenze
zweier Welten. Es sind vier Russen und ein Schweizer, die
sich die Besteigung des Khan Tengri vorgenommen haben.
Die Russen sind Studenten, erprobte Alpinisten: die Brü-
der Jewgeni und Witali Abalakow, Leonid Gutman und
Michail Dadiomow. Der Schweizer, Lorenz Saladin, etwa
vierzig Jahre alt, stammt aus dem solothurnischen Dörf-
chen Nuglar. Er ist nicht zum erstenmal in der asiatischen
Gebirgswelt. Zwei schweizerische Kaukasus-Expeditionen
liegen hinter ihm, und im Jahre 1935 hat er an der russi-
schen Pamir-Expedition teilgenommen. Diesmal ist es sein
eigenes Unternehmen, sein persönliches Abenteuer, seine
grösste Expedition. Seit seiner Rückkehr aus dem Pamir,
ein halbes Jahr zuvor, liess ihn der Gedanke nicht los, den
Mustagh Ata, den Giganten an der chinesischen Turkestan-
grenze, oder seinen Nachbarn, den Khan Tengri, zu bestei-
gen. Es ist kein Geringerer als der schwedische Forscher Sven
Hedin, der ihn auf diese unbestiegenen Gipfel aufmerksam
gemacht hat. Als die chinesischen Behörden in Moskau Sa-
ladin die Einreise nach Sinkiang verweigerten, verzichtete
er auf den Mustagh Ata, verwandte alle zähe Energie darauf,
den Khan Tengri anzugehen. Jetzt ist es soweit. Er steht an
seinem Fuss, zusammen mit seinen Kameraden. Sie warten
den Abend ab. Der Wind zerrt an den Seilen ihres gebrech-
lichen Zeltes. Der Schatten der weissen Pyramide wächst
und breitet sich über den Gletscher und das kleine Lager
aus. Die Rucksäcke sind gepackt. Saladin notiert in sein
Tage buch: »Wir gehen an Khan Tengri nicht etappenweise,