
12
Ernst hatte sich für die zukünftigen Schwiegereltern
rasiert. Er sah jünger aus ohne Dreitagebart, fast etwas
jungenhaft, wie der Sänger einer Boygroup. Während
des ganzen Abends lag seine Hand auf Kleos Ober-
schenkel, und wenn sie etwas sagte, trommelte er zärt-
lich, ihre Worte bestätigend, mit den Fingerkuppen.
Der Vater hatte sich auch frisch rasiert und sich dabei
am Hals geschnitten. Man sah den Schnitt kaum, doch
der Vater hatte bereits beim Apéro lachend darauf hin-
gewiesen mit der Bemerkung, dass seine Augen immer
schlechter würden. Er war fröhlich, goss ständig Wein in
alle Gläser, auch in die vollen, und die Mutter strahlte.
Unser Kleines ist nun schon ein Vierteljahrhundert alt,
sagte sie, und ihre Augen leuchteten stolz. Ich erinnere
mich an deine Geburt, als wäre es gestern gewesen. Der
schönste Tag meines Lebens. Weisst du noch, Paul, rich-
tete sie sich an den Vater, wie wir das kleine Ding in
den Armen hielten? Der Vater nickte bedeutsam in die
Runde, sein Blick blieb auf Kleo ruhen, wie könnte ich
das vergessen. Er seufzte und Ernst kicherte.
Du warst so klein, so winzig. Die Mutter deutete
an, wie sie ein Baby auf dem Arm hielt, und wiegte es
hin und her. Und jetzt bist du plötzlich so erwachsen!
Mutters Augen waren feucht und glänzten, vermutlich
würde sie bald weinen. Kleo blickte sich zu den Neben-
tischen um. Weine nicht!, zischte sie, doch die Mutter
hörte sie nicht. So erwachsen, wiederholte sie, und Trä-
nen perlten aus ihren Augen, vereinten sich mit Wim-
perntusche und ossen dunkel über ihre Wangen.