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Lenos Verlag
Alaa al-Aswani
Ich wollt, ich würd’ Ägypter
Aus dem Arabischen
von Hartmut Fähndrich
Arabische Literatur im Lenos Verlag
Herausgegeben von Hartmut Fähndrich
Der Übersetzer
Hartmut Fähndrich, geboren 1944 in Tübingen. Studierte Vergleichende
Literaturwissenschaft und Islamwissenschaft in Deutschland und in den
Vereinigten Staaten. Seit 1972 in der Schweiz, seit 1978 Lehrbeauftrag-
ter für Arabisch an der ETH Zürich. Für Presse und Rundfunk tätig.
Die Übersetzung aus dem Arabischen wurde aus Mitteln der Schweizer
Kulturstiftung Pro Helvetia unterstützt durch litprom Gesellschaft
zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V.
Titel der arabischen Originalausgabe:
Nîrân s
.
adîqa
Copyright © by Alaa Al Aswany
Published by arrangement with the American University in Cairo Press
Copyright © der deutschen Übersetzung
2009 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlag: Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
Umschlagfoto: Michael von Graffenried, www.mvgphoto.com
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 404 8
Abbâs al-Aswani gewidmet,
meinem Vater, der mich unterwies.
Inhalt
Vorwort 9
Die Aufzeichnungen des Issâm Abdalâti 25
Der Küchenjunge 125
»Und so haben wir sie bedeckt« 147
An den Verantwortlichen für die Klimaanlage 159
Eine Verwaltungsverordnung 169
Wenn etwas in die Brüche geht 173
Lateinisch und Griechisch 179
Ein abgetragenes Kleid und ein Kopftuch 187
Amîn Iskandar 197
Meine liebe Schwester Makârim 203
Hagg Achmads Kummer 209
In Erwartung des Führers 217
Ein Blick in Nâgis Gesicht 231
Warum, mein Herr? 239
Die Sportstunde 241
Boxerhunde aller Art 249
Madame Sitta Mendès – ein letztes Bild 255
Nachbemerkung von Hartmut Fähndrich 263
25
Die Aufzeichnungen des Issâm Abdalâti
1
»Ich wollt’, ich würd’ Ägypter,
wenn ich’s nicht schon wär.«
Mustafa Kâmil
Diesen Satz habe ich meinen Aufzeichnungen vorangestellt,
weil er meiner Meinung nach das Törichtste ist, was ich in
meinem Leben gehört habe. Er stellt, wenn sein Autor ihn
ernst meinte, eine hirnlose Art fanatischen Tribalismus dar,
der mich, sobald ich darüber nachdenke, in Rage versetzt.
Wenn der gute Mustafa Kâmil nun als Chinese oder als In-
der geboren wäre? Würde er denselben Satz äussern, vol-
ler Stolz auf die chinesische oder die indische Nationalität?
Hat denn dieser Stolz, Kind des Zufalls, irgendeine Bedeu-
tung? Und wenn Mustafa Kâmil sich entschiede, Ägypter
zu werden, bewusst und frei, wie er behauptet, müssten
ihn ja wohl wichtige Gründe zu dieser Wahl veranlassen.
Er müsste in diesem Volk, dem ägyptischen, Vorzüge se-
hen, über die kein anderes Volk verfügt. Was sind das für
Vorzüge? Zeichnen sich die Ägypter beispielsweise durch
Ernsthaftigkeit und Arbeitsliebe aus wie die Deutschen und
die Japaner? Lieben sie das Risiko und die Veränderung
wie die Amerikaner? Schätzen sie die Geschichte und die
Künste wie die Franzosen und die Italiener? Nichts davon!
Wodurch also zeichnen sich die Ägypter aus? Wo liegen
ihre Vorzüge? Ich fordere jedermann auf, mir auch nur ei-
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nen einzigen ägyptischen Vorzug zu nennen. Feigheit und
Scheinheiligkeit, Bosheit und Gemeinheit, Trägheit und
Gehässigkeit, das sind unsere ägyptischen Eigenschaften.
Und weil wir die Wahrheit über uns selbst kennen, verber-
gen wir sie hinter Geschrei und Gelüge. Tag und Nacht
wiederholen wir hohle Slogans von unserem »grossartigen«
Volk, und bedauerlicherweise haben wir diese Sprüche so
oft wiederholt, dass wir sie inzwischen glauben, ja und
das ist nun wirklich überraschend wir fassen unsere -
gen über uns selbst in Gesänge und Hymnen! Hat man der-
gleichen von irgendeinem anderen Volk gehört? Singen die
Engländer etwa: O England, o Heimat, deine Erde ist Mar-
mor, dein Boden ist Amber? Solche Abgeschmacktheiten
gehören zu unseren Grundcharakteristika. Man stelle sich
vor! In einem Lesebuch für die zweite Grundschulklasse las
ich das Folgende: »Gott liebt Ägypten über alles und hat
es in Seinem heiligen Buch erwähnt. Deswegen hat er ihm
ein sommers wie winters angenehmes, gemässigtes Klima
gewährt, und er schützt es vor der Arglist seiner Feinde.«
Man betrachte nur einmal die Anhäufung von gen,
die den Kindern ins Gehirn gepackt werden. Dieses an-
geblich angenehme, gemässigte Klima, das ist die Hölle!
Sieben Monate im Jahr, von Ende März bis Ende Oktober,
röstet uns glühende Hitze das Fell, so dass das Vieh krepiert
und der Asphalt auf den Strassen schmilzt. Und wir danken
noch immer Gott r das angenehme Klima! Und wenn
Gott Ägypten vor der Arglist seiner Feind schützte, wie da
behauptet wird, wieso werden wir dann von allen Völkern
der Welt besetzt? Die ägyptische Geschichte ist tatsächlich
nichts anderes als eine ununterbrochene Serie von Invasio-
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nen, die wir durch alle Völker erleiden mussten, von den
mern bis zu den Juden.
All dieser Blödsinn enerviert mich fürchterlich. Was mich
aber noch mehr aufregt, ist die Art, wie wir, die erbärm-
lichen Ägypter, uns mit den Pharaonen schmücken. Die
Pharaonen waren ohne Zweifel ein grossartiges Volk, aber
was haben wir mit ihnen zu tun? Wir sind ein entartetes,
korruptes Ergebnis einer Vermischung der Eroberersoldaten
mit den eroberten, gefangenen Untertanen. Der ägyptische
Bauer, dessen Land jahrhundertelang von den Eroberern ge-
plündert und dessen Männlichkeit von ihnen geschändet
wurde, hat jegliche Bindung an seine grossartigen Ahnen
verloren, und durch die lange Zeit der Erniedrigung hat er
sich an diese gewöhnt, hat sich damit abgefunden und so
im Lauf der Zeit eine Sklavenmentalität entwickelt. Versu-
chen Sie sich einmal zu erinnern, wie viele wirklich mutige
Ägypter Sie in Ihrem Leben gesehen haben. Der Ägypter,
wie hoch seine Stellung und wie gross sein Wissen auch
seien, wird sich vor Ihnen verneigen, solange Sie der Stär-
kere sind. Er wird Sie anlächeln und Ihnen Honig ums Maul
schmieren, auch wenn er Sie gleichzeitig verabscheut und
irgendwie auf Ihr Verderben sinnt, aber bitte möglichst si-
cher und ohne sich zu exponieren oder in Gefahr zu bringen.
Nichts als ein Knecht, das ist der Ägypter. Ich verabscheue
die Ägypter und Ägypten. Ich verabscheue sie aus ganzem
Herzen und wünsche ihnen noch viel Schlimmeres. Und ob-
wohl ich mich bemühe, meinen Abscheu gegenüber Ägyp-
ten zu verheimlichen, um Probleme zu vermeiden, kann ich
ihn doch manchmal nicht mehr vertuschen. Einmal schaute
ich bei einem Kollegen einem Fussballspiel zwischen Ägyp-
28
ten und einem afrikanischen Land namens Zaire zu und ju-
belte vor Freude, als der afrikanische Spieler den Siegestref-
fer im ägyptischen Tor platzierte, worauf die Anwesenden
sich indigniert darüber zeigten, dass ich über die Niederlage
glücklich war. Ich scherte mich aber nicht um sie und be-
trachtete mit köstlicher Häme die Gesichter der ägyptischen
Spieler nach der Niederlage. Ihre Blicke waren trüb und ge-
brochen, ihre Mienen elend und niedergeschlagen. Genauso
sehen die Ägypter seit Jahrtausenden aus.
2
Mein Verstand emanzipierte sich von den rchen auf ei-
nen Schlag, und darauf bin ich stolz. Ich habe schon viele
Männer kennengelernt, darunter intelligente und gebildete,
die ihr ganzes Leben in Wahnvorstellungen vergeudeten,
Glaubensinhalten und Theorien, die ihnen nichts brachten
und denen sie dennoch jahrelang hinterhergelaufen sind wie
einer Fata Morgana: Nationalismus, Religion, Marxismus,
alle diese blinkenden Worte sind mir schon früh suspekt
gewesen. Die Religion loszuwerden war einfach. Beim Mar-
xismus hat das schon länger gedauert, denn darin, so muss
ich zugeben, gibt es eine achtbare rationale Seite, und er
hinterlässt einen Eindruck, der nicht mit der Idee als solcher
verschwindet. Zwei Jahre lang war ich engagierter Marxist,
aber ich spürte immer, dass ich mich veränderte. Ich habe
nie verstanden, warum ich Opfer bringen sollte für so or-
dinäre Kreaturen wie Arbeiter und Bauern. Ich beobach-
tete das einfache Volk, das platte Witzchen austauschte,
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ich betrachtete die Leute bei ihren Festen, wenn sie auf die
Strassen hinausdrängten wie wild gewordenes Vieh und mit
ihren schweren Füssen alles Schöne blind niedertrampelten.
Da schrumpften angesichts meiner Verachtung und meines
Abscheus die grossartigen marxschen Worte über sie. Sollte
ich r die da kämpfen und mein Leben riskieren? Das wa-
ren Tiere, die nichts anderes verdienten als Verachtung und
Terrorherrschaft, das war die einzige Sprache, die sie ver-
standen. Versuchen Sie einmal, schwach zu sein vor einem
von ihnen, und schauen Sie, was er mit Ihnen macht. Mit
dem Verschwinden des Marxismus blieb mir die Kontrolle
über meinen Verstand und seine Befreiung, und da hlte
ich mich alleingelassen. Die Wahnvorstellungen betrügen
Sie zwar, aber sie sind auch Gesellschaft. Die strenge, kalte
Wahrheit dagegen wirft Sie in erbarmungslose Einsamkeit.
Indessen entsprach meinem Erfolg bei der Zähmung mei-
nes Verstandes der Misserfolg bei der Kontrolle meiner Ge-
hle. Die kompliziertesten intellektuellen Schwierigkeiten
widersetzen sich meinem Denken nicht, jedoch der spon-
tane, schlichte Umgang mit anderen Leuten verwirrt mich
und macht mich hilflos. Es gibt da eine gegenläug propor-
tionale Beziehung zwischen Bewusstsein und Tat, wodurch
die tatkräftigsten Menschen die denkschwächsten und ein-
fältigsten sind und umgekehrt. Je schärfer das Bewusstsein
wird, desto mehr ist die Fähigkeit zu handeln beeinträch-
tigt. Mein Kopf, der keinen Augenblick aufhört, zu denken
und alle Möglichkeiten und Eventualitäten in Betracht zu
ziehen, derselbe Kopf hält mich von vernünftigem Verhalten
in Situationen ab, die alle Welt r normal lt und ohne
Mühe bewältigt. Wenn ich einen Freund zum ersten Mal

Alaa al-Aswani
Ich wollt', ich würd' Ägypter

Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich


Lenos Pocket 155
Paperback
ISBN 978-3-85787-755-1
Seiten 262
Erschienen Februar 2012
€ 6.90 / Fr. 8.50

»Ich wollt’, ich würd’ Ägypter, wenn ich’s nicht schon wär’.« Mit diesem berühmten Zitat von Mustafa Kâmil, der vor hundert Jahren für die Unabhängigkeit seines Landes von den Briten eintrat, beginnen Die Aufzeichnungen des Issâm Abdalâti in Alaa al-Aswanis Erzählband. Im Mittelpunkt steht ein desillusionierter junger Mann, der für die vermeintliche Erhabenheit der Ägypter nur Hohn übrighat: In Wahrheit seien seine Landsleute feige und scheinheilig, böse und gemein, träge und gehässig. Ein intelligenter, begabter Mensch wie Issâm, der sich nicht anpassen will, ist zwangsläufig zum Aussenseiterdasein verdammt.

Der erfolgreichste arabische Autor der Gegenwart seziert und entblösst mit schonungsloser Ironie ein weiteres Mal die moderne ägyptische Gesellschaft und die Gewalttätigkeit, die Heuchelei und die allgegenwärtige Korruption in ihr: eine Gesellschaft voller Widersprüche, ein Land am Scheideweg. Auch die weiteren Erzählungen, die der vorliegende Band versammelt, fördern Schmerzvolles, Tabuisiertes zutage: eine Frau, die sich zur Abtreibung genötigt sieht, weil ihr Freund sie nicht heiraten will; ein unsportlicher Junge, der zum Gespött seiner Mitschüler wird; und schliesslich die berührende Geschichte von einem gehbehinderten Kind, das bei einer halsbrecherischen Fahrradfahrt alle Traurigkeit verliert.

Pressestimmen

Wunderbar geschrieben, genau beobachtet und gewürzt mit ägyptischem Humor. Ein Meisterwerk.
— Westdeutscher Rundfunk
Ein hintergründiges Psychogramm der arabischen Mentalität.
— Radio Bremen