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Fünf Stunden. Fünf Stunden Fussmarsch. Kein Ge-
spräch, kein Wort. Als mein Vater uns aufmachte, war
ich drauf und dran zusammenzuklappen. Er trug eine
graue Arbeiterkluft, was seinem mediterranen Gesicht
etwas Elendes verlieh. Aber sein Stolz liess mich im Nu
die ganze Mühsal vergessen. Er legte eine Hand auf sein
kurzgeschorenes Haar, die andere an den buschigen
Schnurrbart und sah uns an. Der gleiche Gesichtsaus-
druck wie bei Saïda. Die gleiche Undurchdringlichkeit.
Aber damit hatte es sich in seinem Fall. Davon abgese-
hen war mein Vater das pure Gegenteil meiner Schwes-
ter. Zwischen seinem Verhalten und seinem Erschei-
nungsbild bestand eine verblüende Diskrepanz. Mein
Vater war scheinruhig. Und wie die meisten scheinru-
higen Menschen verbarg er hinter seinem Phlegma eine
unablässig brodelnde Nervosität. Auch seine Grösse und
sein Verhalten waren zwei klar getrennte Dinge. Mein
Vater war klein, vermochte aber trotzdem zu erdrücken.
Die Perspektive spielte keine Rolle. Er beherrschte die
Leute auch von unten.
»Wie seid ihr hergekommen?«
Er liess uns auf dem Sofa Platz nehmen und bot uns
eines der berühmten labneh-Sandwiches an, das ich,
weil es nicht ein Etappenziel markierte, etwas weniger
schmackhaft fand. Kaum hatte ich den Imbiss ver-
schlungen, streckte ich mich aus und schlief ein.
»Steh auf, ihr müsst jetzt los.«
Abruptes Aufwachen.
»Dürfen wir nicht bleiben, Papa?«, murmelte ich.
»Nein, sonst macht sich eure Mutter Sorgen.«