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Lenos Verlag
Claude Cueni
Der Mann, der Glück brachte
Roman
Erste Auflage 2018
Copyright © 2018 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlag: Hauptmann & Kompanie, Zürich, Dominic Wilhelm,
unter Verwendung eines Fotos von © frankies/Shutterstock.com
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 487 1
Der Lenos Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Struk-
turbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Der Lenos Verlag dankt dem Fachausschuss Literatur BS/BL für die
Unterstützung.
für Dina Ariba Cueni
Gck ist, wenn das Pech die anderen trifft.
Horaz
Wenn man nur glücklich sein wollte, wäre es bald ge-
tan, aber man will ja glücklicher als die anderen sein,
und das ist fast immer schwierig, weil wir die anderen
für glücklicher halten, als sie wirklich sind.
Montesquieu
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Die hier geschilderten Ereignisse und Personen sind
fiktiv. Oft ist diese Formulierung ironisch gemeint
oder aus juristischen Gründen angebracht. Im vorlie-
genden Fall ist sie ernst gemeint und notwendig, da
ich als Autor und Gamedesigner in den neunziger Jah-
ren mit meinem Black-Pencil-Team Game-Software
für in- und ausländische Lotteriegesellschaften und
Software für Casinoautomaten entwickelt und produ-
ziert habe. Ich habe dabei ausschliesslich gute Erfah-
rungen gemacht.
Claude Cueni
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»Jetzt haben Sie Ihr Leben zurück.«
»Welches Leben?« Ich schaute auf den Park hin-
unter, es war Sommer, die Menschen trugen bunte
T-Shirts und dunkle Sonnenbrillen, einige waren zu
zweit, andere hatten nur ein Handy, sie kamen und
gingen, sie hatten alle einen Plan, ich hatte keinen.
»Werden Sie nicht abgeholt?«
Ich drehte mich um. Sabrina Padelli stand immer
noch mit meiner Adidas-Tasche in der offenen Zim-
mertür. Sie war um die dreissig und hatte halblanges
braunes Haar. Ich wollte ihr sagen, dass ich von nie-
mandem erwartet wurde und meine Rückkehr viel-
leicht nicht allen gefallen werde, aber ich verkniff mir
die Bemerkung. Mich ihr anzuvertrauen, hielt ich r
eine schlechte Idee Padelli hatte über die psycho-
sozialen Folgen schwerer Schädel-Hirn-Traumata pro-
moviert, ging zweimal die Woche schwimmen und
verfasste Berichte über mich.
»Sie hatten damals nach Ihrer Einlieferung oft Be-
such, eine junge Frau, können Sie sich erinnern?«
Ich ging langsam auf sie zu. »Das war früher«,
sagte ich mit schleppender Stimme, »jetzt ist nicht
mehr früher.«
Sie schien besorgt und zog die Stirn in Falten,
wie sie es in letzter Zeit immer getan hatte, wenn sie
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spürte, dass ich mir keine Illusionen mehr machte.
Aber es war nicht meine Aufgabe, sie aufzumuntern,
sie hingegen wurde dafür bezahlt, mich und meine
Adidas-Tasche nach Hause zu bringen.
»Sie wollen immer noch nicht darüber sprechen«,
stellte sie bedrückt fest, als empfinde sie meine Weige-
rung als persönliches Versagen.
Wir traten auf den bunt gestrichenen Flur hinaus,
ein bisschen Flower-Power im Todestrakt, sie taten
hier alles, damit wir uns besser fühlten. Nach ein paar
Schritten blieb ich stehen, hatte bereits Mühe mit dem
Atmen. Ich warf einen letzten Blick in Zimmer 204,
das in den letzten Jahren mein Zuhause gewesen war.
Ich war da und war doch nicht da. Als wir den Flur
entlanggingen, fragte die Psychologin, worauf ich
mich am meisten freute.
»Worauf sollte ich mich denn freuen?«
*
Sie fuhr einen Fiat 500e, einen grünen Cityflitzer, sie
sagte, Benziner und Diesel, das sei vorbei und das Aus-
trittsformular habe sie in der Tasche.
»Wie schnell können Sie damit fahren?«, fragte
ich. Sie schien erfreut, dass ich mich nach der Leistung
des Elektromotors erkundigte, dass ich überhaupt In-
teresse an etwas hatte, kommunikativ, rde sie viel-
leicht in ihren Rapport schreiben. Aber ich interes-
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sierte mich nicht für Autos, von Motoren hatte ich
keine Ahnung.
»Hundertfünf Stundenkilometer Maximum, aber
mehr brauchen Sie im Stadtverkehr nicht. Und wenn
ich woandershin will, nehme ich den Zug.«
Ebenso wenig interessierte ich mich für Züge,
Fahrpläne und Destinationen. Meine Welt waren stets
Quellcodes und Algorithmen gewesen, damals. Ich
mochte auch nicht viel sprechen, meine Stimme klang
so heiser, so gepresst, als hätte ich zu wenig Luft,
um einen Laut von mir zu geben, als tte ich diese
Stimme seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt.
»Verzeihung, ich habe eben nicht zugehört.«
»Werden Sie wieder in Ihrem Beruf arbeiten?«,
fragte Sabrina Padelli laut und deutlich, weil sie
wusste, dass ich seit der Schussverletzung auf dem lin-
ken Ohr taub war.
»Sieben Jahre sind eine lange Zeit in der
IT-Bran-
che.«
Ich wandte mich von ihr ab und beobachtete die
Passanten. Mir schien, sie hätten alle dringende Ter-
mine, als hätte in meiner Abwesenheit eine Beschleu-
nigung stattgefunden. Vielleicht kam es mir auch nur
so vor, weil ich die letzten Jahre in Slow Motion ver-
bracht hatte – in Zimmer 204.
Was tut man in diesem Raum? Man geht verloren.
Man starrt auf die Uhr über der Tür, die man öffnen
nnte und die doch verschlossen bleibt, man schaut
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nach einer Weile wieder auf das Ziffernblatt und stellt
fest, dass sich der Zeiger nicht bewegt hat. Man über-
legt, ob die Uhr defekt ist, ob sie von Batterien betrie-
ben oder an das Stromnetz angeschlossen ist, man fragt
sich, ob die einen schon vergessen haben, und dann
bricht die Nacht an, obwohl es draussen noch hell ist,
man versinkt in einer Finsternis, in der man sich nie
zurechtfindet, und wenn man die Augen wieder öff-
net, überlegt man, ob jetzt Herbst oder Mittwoch ist,
schielt zum Fenster und sieht den Schnee auf den Dä-
chern, und jemand flüstert: Können Sie mich hören?
*
Wir parkten vor einer Altbauliegenschaft, wie sie der
damalige Stadtarchitekt Baumgartner in den dreissiger
Jahren zu Dutzenden im Quartier erstellt hatte, vier-
stöckige Bauten mit Mansarden für den Mittelstand
nach dem immer gleichen modularen Bauschema. Die
Metzgerei im Erdgeschoss war offenbar ausgezogen,
das Ladenlokal an einen Italiener vermietet worden. Er
stand gelangweilt vor der offenen Tür und zeigte mit
dem Kinn auf die grünen Obst- und Gemüseharassen,
die er vor dem Schaufenster aufgestellt hatte. Sabrina
Padelli löste an der Parkuhr für dreissig Minuten. Das
war mir recht so, ich konnte es kaum erwarten, wieder
allein zu sein. Allein, aber nicht in einem geschlosse-
nen Raum. Vielleicht würde ich auf dem Balkon über-
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nachten. Für einen Augenblick war ich mir nicht mehr
sicher, ob ich überhaupt einen hatte. Ich schaute die
Fassade hoch und sah die kleinen Balkone.
Wer eines der Spitalzimmer im zweiten Stock ver-
lässt, ist sehr fragil, verunsichert, er verträgt nicht mehr
viel, er hat das Urvertrauen in das Leben verloren. In
der letzten Sitzung hatte mir die Psychologin geraten,
ich solle mir die Zeit nehmen, die ich brauchte. Ich
sah, dass das kleinere Ladengeschäft auf der anderen
Seite des Hauseingangs leer stand. Zu vermieten. Sa-
brina Padelli fragte mich, ob mich der laute Strassen-
verkehr sre. Schon allein ihre mitfühlende Art und
die Kummerfalten auf ihrer Stirn konnten einen in
Schwermut stürzen.
»Das ist mir egal«, sagte ich. Es sollte ruhig laut
werden, damit das Piepsen in meinem Kopf übertönt
würde. Von mir aus hätten auch schwere Frachtma-
schinen im Tiefflug über die Dächer donnern können.
Sie bestand darauf, meine Tasche zu tragen, weil
ich motorisch noch einige Probleme hatte, aber das
war angeblich normal am Anfang.
»Ich schaffe das schon«, sagte ich und räusperte
mich. Ich wollte ihr die Tasche abnehmen, aber sie
zog sie mit einem schelmischen Lächeln an sich und
brachte mich dabei beinahe zu Fall. Der Italiener
lachte, wahrscheinlich, um unsere Aufmerksamkeit
auf seine Auslage zu lenken. Er nahm zwei schön ge-
formte Orangen in die Hand und jonglierte ein biss-

Claude Cueni
Der Mann, der Glück brachte

Roman

E-Book
ISBN 978-3-85787-963-0
Seiten ca. 278
Erschienen 27. März 2018
€ 18.99

Der neue Roman des Schweizer Bestsellerautors über ein Komplott bei der Lotteriegesellschaft und die Vergänglichkeit des Glücks.

Lukas Rossberg lag seit einem Kopf- und Lungendurchschuss, den er als Unbeteiligter bei einem Casinoüberfall erlitten hatte, sieben Jahre im Wachkoma. Als er nach der Reha ins Leben zurückkehrt, ist nichts mehr so, wie es war: Seine Freundin hat ihn verlassen, die Angestellten seiner IT-Firma sind ins Silicon Valley ausgewandert. Und die Folgen seiner schweren Verletzungen bleiben spürbar, er hat Gedächtnisausfälle und Depressionen. Sein alter Freund Robert Keller gibt ihm aus Mitleid einen Job bei der Lotteriegesellschaft. Fortan berät Lukas frischgebackene Lottomillionäre – er wird der Mann, der Glück bringt, aber selbst kein Glück hatte. Doch das eigenartige Verhalten des Lotteriechefs weckt schon bald sein Misstrauen. Der Verdacht, dass sich in der verhängnisvollen Casinonacht manches anders zugetragen hat, erhärtet sich. Als Lukas schliesslich den Server der Lotteriegesellschaft hackt, kommt er Roberts Komplott auf die Spur.

In seinem neuen Roman blickt Claude Cueni in die Seele eines nicht nur körperlich verletzten Menschen, der seinen Frieden finden will, aber stattdessen hinter ein Geheimnis kommt, das seine Rachegelüste weckt.

Pressestimmen

Unterhaltsame Ermittlungsgeschichte. Tragik gepaart mit Love und Action. Clever ever, Mr. Cueni!
— Annette König, Schweizer Radio und Fernsehen
Einer dieser Romane, bei denen man auf Seite 275 gerne noch weiterlesen möchte, weil man sich einfach gut unterhalten fühlt.
— Raphael Suter, Basler Zeitung
Souverän geschriebene und intelligente Unterhaltung.
— Wolfgang Bortlik, 20 Minuten
Ein schön-melancholisches Buch.
— Heike Nickel-Berg, Eliport