LENOS
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Lenos Verlag
Clare Kipps
Clarence und Timmy
Meine Wunderspatzen
Aus dem Englischen
von Elisabeth Schnack
und Ursula von Wiese
Mit einem Vorwort von Adolf Portmann
Die Autorin
Clare Kipps (1890–1976) war eine britische Musikerin, Hobby-
ornithologin und während des Zweiten Weltkrieges Angehörige des
Zivilschutzes. Sie lebte in London.
Titel der englischen Originalausgaben:
Sold for a Farthing (London: Frederick Muller 1953)
Timmy. e Story of a Sparrow (London: Arthur Barker 1962)
Deutsche Erstausgaben:
Clarence, der Wunderspatz (Zürich: Arche 1956)
Noch ein Spatz. Timmy (Zürich: Sanssouci 1978)
Für die vorliegende Ausgabe wurde die Übersetzung durchgesehen
und vervollständigt.
Der Verlag erklärt sich nach den üblichen Regularien zur Abgeltung
der Rechte an der deutschen Übersetzung bereit, falls diese nachge-
wiesen werden können.
Erste Auflage 2023
Copyright © 2023 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlagbild: A. H. Eisner
Printed in Germany
ISBN 978 3 03925 028 8
Clarence
Vorwort von Adolf Portmann 13
Prolog 23
1 Das Findelkind 26
2 Sein Leben als Schauspieler 42
3 Sein Leben als Musiker 61
4 Sein Liebesleben 80
5 Abstieg und Verfall 99
6 Die letzte Phase 111
Epilog 129
Timmy
Prolog 139
1 Der Spatz von Bloomsbury 146
2 Stolzer Heimatloser 153
3 Die Ehrenrettung 157
4 Der Musiker 163
5 Der Nachahmer 171
6 Schauspieler, Finanzexperte
und Menschenfreund 177
7 Besuch aus dem Jenseits 188
8 Hoher Besuch 192
9 Phantastische Romanze 198
10 John und Jamie – ein Zwischenspiel 211
11 Liebesgeschichte mit Diana 219
12 Liebe überwindet alles 226
Epilog 233
Anmerkungen 237
Fotonachweis 239
Tägliche Lesestunde
Clarence
Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack
Dank gebührt Nancy Price für ihre grosszügige
Unterstützung dieses Büchleins und dafür, dass sie
ihm den Titel gegeben hat.
Dieses Büchlein ist
W   M
gewidmet, ohne dessen Ermutigung es nie
geschrieben worden wäre.
23
Prolog
Ich bin oft und selbst von berühmten Persönlichkei-
ten wie Walter de la Mare gebeten worden, einen ge-
nauen Bericht über das Leben meines Sperlings nie-
derzuschreiben. Trotzdem zauderte ich, es zu tun,
weil ich niemanden verleiten wollte, so reizende Ge-
schöpfe gefangenzuhalten – ich nde, wildlebende
Vögel sollten ihrer Freiheit nicht beraubt werden.
Da ich nun aber mit der Aufgabe betraut wurde,
habe ich mir die grösste Mühe gegeben, getreulich
und ohne jede Übertreibung von meinem Spatz zu
berichten, denn ich weiss, dass dies kleine Buch
erst dadurch wirklich wertvoll wird. Was bei der
Deutung seines Verhaltens auf den ersten Blick als
zu phantastisch erscheinen mag, ist schliesslich das
Ergebnis genauer Beobachtungen; wo ich jedoch
unsicher war, ob sein Tun instinktiv, intelligent
oder zufällig war, habe ich die Entscheidung dem
Leser überlassen.
Ich habe eine einfache Erzählform ohne An-
spruch auf literarischen Stil gewählt, weil mir dies
der beste Weg zur nüchternen, ungeschminkten
Wahrheit schien. Nur in ein paar unwesentlichen
Details bin ich von den Fakten abgewichen. Der
kleine Vogel war nicht, wie man allgemein glaubte,
infolge von Bomben aus dem Nest geschleudert
worden. Wahrscheinlich war er verstossen worden,
24
weil er an Fuss und Flügel verkrüppelt war und so-
mit keine Überlebenschancen hatte.
Die Fotograen wurden nach der Krankheit in
seinem zwölften Lebensjahr aufgenommen und
zeigen die schleppenden Flügel und den zerzausten
Schwanz. Ich bedaure es sehr, dass ich nicht schon
früher Bilder von ihm machen liess, die ihn ganz
auf der Höhe gezeigt hätten. Es ist merkwürdig,
dass, obwohl er zu keiner Aufnahme »gestellt« oder
in Positur gelockt wurde, er von selbst die zur Il-
lustration passende Haltung, Stimmung und Aus-
drucksform fand.
Ich bin von jeher eine Vogelfreundin gewesen.
Sooft eins dieser reizenden und geheimnisvollen
Geschöpfe auf eine aussergewöhnliche Art auf-
tauchte, kündete es stets – und das ist seltsam, ob-
wohl es der reinste Zufall gewesen sein kann – ein
Ereignis an, das von grösster Bedeutung für mein
Leben war. Als ich geboren wurde, pickte eine Elster
dreimal an die Fensterscheibe, gerade als die Heb-
amme meldete, das winzige Baby sei ein Mädchen.
Meine Mutter hielt es für ein übles Vorzeichen, da
sie vor Elstern stets eine merkwürdige Angst hatte,
und drei Tage darauf starb sie. Doch mir sind we-
der Elster noch Rabe als Unglücksboten erschie-
nen. Unter den wildlebenden Singvögeln hatte ich
meine Freunde, grüsste regelmässig eine Nachtigall,
kein Vogel war mir jedoch ein so treuer und innig
geliebter Gefährte wie mein kleiner Haussperling.
25
Und hier ist nun die Geschichte – nicht die ei-
nes Lieblingstieres, sondern die einer Freundschaft
zwischen Mensch und Vogel, die sich über viele
Jahre erstreckte. Da ich verwitwet bin und allein
und verhältnismässig zurückgezogen lebe, hat viel-
leicht noch nie ein Spatz das Vorrecht gehabt, eine
so ausschliessliche Menschengesellschaft zu genies-
sen (oder zu ertragen), und vermutlich fällt da-
durch ein ganz neues Licht auf die Gewohnheiten,
das Temperament und die Entwicklungsmöglich-
keiten eines der interessantesten und anpassungs-
fähigsten Vögel.
Mit der gütigen Erlaubnis des Dichters Walter
de la Mare führe ich hier seine Beurteilung dieses
Buches an, wie er sie mir in einem persönlichen
Brief mitteilte: »Es ist so gut wie einzig in seiner
Art. Diese Sperlingsbiographie wird, soweit ich
bisher in das Buch Einblick genommen habe, ein
kleines Juwel, und die Fotograen sind auch er-
staunlich und bezeugen aufs herrlichste die Liebe,
die zwischen allen Lebewesen, gross und klein, be-
stehen kann. Dieser Spatz erönet allen, die auch
nur ein Gran Phantasie besitzen, ein Wunder an
Einblick. Man fragt sich immer wieder, wie dieses
sprachlose (oder alles andere als sprachlose) Feder-
bällchen eine so grosse Liebe zu einem Menschen
hegen konnte. Doch hier beginnt das Geheimnis.«
26
1
Das Findelkind
Der 1. Juli 1940 war, wenn ich mich auf mein
Gedächtnis verlassen kann, ein trüber und etwas
kühler Tag für diese Jahreszeit, besonders in einem
Jahr, das wegen seiner wolkenlosen Mittagsstunden
noch geschichtliche Berühmtheit erlangen sollte.
Auf den Sitzkrieg waren in Europa verheerende Er-
eignisse gefolgt, doch vorerst nur auf dem Festland,
während der Feind unser Land geheimnisvoller-
weise noch verschonte. Die bitteren Monate eines
harten Winters waren wir über die vereisten Stras-
sen gestapft und hatten in der unheimlichen Stille
der Verdunkelung auf Bomben gewartet, die nie
elen. Diese Zeit der Stille sollte sich, obwohl wir
es damals nicht wussten, bald in die wütenden An-
grie des Blitzkrieges verwandeln, doch bis dahin
war es die Picht des Zivilschutzes – bzw. der Air
Raid Precautions, wie man ihn damals nannte –,
wachsam zu sein und zu warten.
Ich hatte den ganzen Tag über auf einem Posten
in der Nachbarschaft Dienst getan und bemerkte,
als ich heimkehrte, auf der Türschwelle meines
kleinen Bungalows in einem Londoner Vorort ein
winziges Vögelchen, das entweder aus dem Nest ge-
fallen oder hinausbefördert worden war. Es musste

Clare Kipps
Clarence und Timmy

Meine Wunderspatzen

Aus dem Englischen von Elisabeth Schnack und Ursula von Wiese
Mit einem Vorwort von Adolf Portmann


Hardcover (mit 30 Fotos)
ISBN 978-3-03925-028-8
Seiten 239
Erschienen 13. Februar 2023
€ 23.90 / Fr. 26.00

Ausgaben
Hardcover (2023)
Ganz London liebte den Spatz, der Hitler parodierte.
— stern

Eines Abends im Jahr 1940 fand Clare Kipps ein frisch geschlüpftes Spatzenküken vor ihrem Haus. Sie nahm es zu sich und päppelte es auf. Fortan lebte Clarence bei seiner Ziehmutter, die minutiös seine Fortschritte dokumentierte. Mit seinen Kunststückchen sorgte der Spatz schon bald für Aufsehen: Er wurde von der kriegsgeplagten Londoner Bevölkerung wie ein Popstar gefeiert. Seine Prägung auf den Menschen sollte er zeitlebens nie mehr verlieren. Heute zählt er zu den wenigen Spatzen, die sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag haben.
Einige Jahre nach Clarence’ Tod nahm sich Clare Kipps noch einmal eines Spatzen an: Timmy. Obschon von ganz anderem Charakter, gelang es ihr, auch ihn mit grossem Einfühlungsvermögen aufzuziehen. Ihre erstaunlichen Beobachtungen brachte sie erneut zu Papier.
Beide lange vergessenen Bücher liegen nun erstmals in einem Band vereint vor: das Dokument zweier aussergewöhnlicher Beziehungen zwischen Mensch und Tier.

Pressestimmen

Niedergeschrieben mit einer andächtig beflügelten Empathie, die genauer Beobachtung entspringt und viel über Mensch und Tier und ihr Verhältnis zueinander erzählt. … Die enthaltenen schwarzweissen Fotografien atmen in ihrer sanften Nebulosität eine solche historische Gegenwärtigkeit, dass man fast ein leises Trippeln und Tschilpen zu vernehmen meint.
— Arndt Wiebus, Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Ein interessantes und sehr präzises Protokoll.
— Deutschlandfunk Kultur