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Lenos Verlag
Ahmed Mourad
Blauer Elefant
Thriller aus Ägypten
Aus dem Arabischen
von Christine Battermann
Titel der arabischen Originalausgabe:
al-Fîl al-azraq
Copyright © 2012 by Ahmed Mourad
Erste Auflage 2018
Copyright © der deutschen Übersetzung
2018 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlaggestaltung und -motiv: Hauptmann & Kompanie, Zürich,
Dominic Wilhelm
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 486 4
Der Autor
Ahmed Mourad, geboren 1978 in Kairo, studierte an der Filmhoch
-
schule der ägyptischen Hauptstadt. Sein Abschlusslmprojekt gewann
mehrere internationale Preise. Er ist Filmemacher, Drehbuchautor und
Fotograf, einst arbeitete er auch als persönlicher Fotograf des Staatsprä
-
sidenten. Seit 2007 veröffentlichte er sechs Thriller und historische Ro-
mane, die zu Bestsellern in Ägypten wurden. Ahmed Mourad lebt in
Kairo.
Im Lenos Verlag erschienen seine Thriller Diamantenstaub (2014) und
Vertigo (2016) in deutscher Übersetzung.
Die Übersetzerin
Christine Battermann, geboren 1968 in Wuppertal, studierte Arabisch
und Türkisch in Bonn. 1996–2000 Lehrbeauftragte r Türkisch an
der Universität Bonn. Seit 1998 freie Literaturübersetzerin. Sie über
-
trug u.a. Werke von Ahmed Khaled Towk, Machmud Darwisch, Rosa
Yassin Hassan und Alexandra Chreiteh ins Deutsche und lebt in Köln.
Zur Erleichterung der Aussprache arabischer Namen wurden in der
Übersetzung betonte lange Silben mit einem Zirkumex (
^
) versehen.
Der Lenos Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Struktur
-
beitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Blauer Elefant
7
September
Temperatur: 43 Grad Celsius
Der Handywecker riss mich aus nsterstem Schlaf. Nach
Luft ringend und mit beklommenem Herzen lag ich auf der
linken Seite. Ich hatte furchtbares Sodbrennen und troff vor
Schweiss wie ein Boxer in der zwölften Runde.
Angestrengt versuchte ich, zum Nachttisch zu langen,
aber mein Arm war eingeschlafen und gehorchte mir
nicht. Nachdem ich ihn geschüttelt hatte, strömte das
Blut jedoch wieder hinein, und ich griff nach dem Tele
-
fon, um das penetrante Klingeln abzuschalten. Schliess-
lich brachte ich es sogar fertig, mich aufzusetzen. Dabei
musste ich gegen die morgendliche Benommenheit und
den Kopfschmerz ankämpfen, der wie glühende Kohle in
meinem Hinterkopf brannte und mir Lava zwischen die
Augen goss. In Anbetracht des Restalkohols in meinem
Blut hatte dieser Schmerz allerdings auch seine Berech
-
tigung. Im Schrankspiegel gegenüber sah ich mein Bild,
eine griechische Tragödie, die nur noch jemand nieder
-
schreiben musste. Ich streckte den Rücken durch, liess
die Wirbel schmerzhaft knacken und drehte mir meine
Morgenzigarette.
Währenddessen betrachtete ich die cremefarbene Har
-
ley Davidson Fat Boy mit 132 PS, die mit mehreren Kis-
sen zwischen den Beinen neben mir parkte. Ihr hrender
Motor hatte letzte Nacht die Nachbarn aus dem Schlaf ge
-
rissen, und ich war so ausgiebig auf ihr geritten, dass ich
nun ziemlichen Muskelkater hatte. Ich musterte ihre re
-
kordverdächtigen Kurven, die weissen, sommersprossigen
Schultern, die wilden Locken, in denen noch der Alkohol
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hing, und die beiden Tachometer, auf denen ich meine Fin-
gerspuren hinterlassen hatte.
Mit dir, Maja, hat man immer karibischen Sommer
selbst auf dem Mond!
Nachdem ich mein Nikotin aufgesogen hatte, streckte
ich einen Fuss aus dem Bett und tastete nach den Schlap
-
pen, um darin wie üblich mit knackenden Knöcheln in die
che zu schwanken. Dort griff ich mir eine bibbernde Fla
-
sche Meister Max aus dem Kühlschrank, ein Kater lässt sich
schliesslich am besten mit Alkohol bekämpfen. Ich leerte sie
in einem Zug und setzte sie dann vorsichtig auf die Flaschen
-
pyramide, deren Bau ich zwei Monate zuvor in Angriff ge-
nommen hatte, um meinem Namen Unsterblichkeit zu ver-
leihen. Nur noch ein paar Flaschen, dann hatte ich die Spitze
erreicht! Ich holte mir Eiswürfel aus dem Gefrierfach, nahm
sie mit ins Bad, verstöpselte den Abuss, drehte den Hahn
auf und leerte meine Hand ins Waschbecken. Als es vollge
-
laufen war, steckte ich den Kopf ins eiskalte Wasser, damit
meine geweiteten Blutgefässe sich wieder zusammenzogen.
So versuchte ich das Blut auf diplomatischem Wege davon
abzuhalten, ständig in meinen Kopf zu strömen. Nach einer
Minute verglomm die Glut und erlosch. Ich hauchte die sie
-
benunddreissig Jahre an, die mir aus dem Spiegel entgegen-
schauten. Zeit genug, selbst einen Elefanten zu verwandeln.
Allerdings bleibt der ein Elefant und behält seinen Rüssel.
Bei mir lag die Sache anders: Alle Jahre wieder sah ich mich
im Spiegel einem Fremden gegenüber, dessen Gesicht ich,
wenn ich es mit den Fotos aus der Sekundarschulzeit ver
-
glich, kaum wiedererkannte. Ich stand mit mir selbst in kei-
nerlei Zusammenhang mehr! Und dann die Erosionserschei-
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nungen: In den Bart schmuggelte sich ein weisses Härchen
nach dem anderen, die hne wurden durch Zigaretten und
Kaffee immer unansehnlicher, und über die Augäpfel rank
-
ten sich rote Äderchen wie Efeu an einer Mauer.
Ein leichtfüssig nahender Tod.
Ich liess eine kalte Dusche über mich ergehen und stach
mir den gnädigen Insulinpen in den Schenkel. Dreissig Ein
-
heiten, um das schändliche Versagen meiner Bauchspeichel-
drüse zu kompensieren und im Voraus zu verbrennen, was
ich bis zum Abend unterwegs in mich reinstopfen würde.
Ich brockte mir einen Sesamkringel auf ein Stück Käse und
betrachtete dabei das Couvert mit dem Mahnschreiben auf
dem Tisch. Schliesslich nahm ich das Briefblatt heraus und
liess den Blick über die unappetitlichen Worte wandern.
Zweite Abmahnung: unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz
Herr Jachja … und in Anbetracht dessen, dass Sie, ohne
der Klinikleitung eine Entschuldigung zukommen zu
lassen, Ihrer Arbeit mehr als fünfzehn Tage ferngeblieben
sind und damit die gesetzliche Frist überschritten ha
-
ben … ist die Leitung gezwungen, Massnahmen … und
die Bestimmungen von Paragraph 98 des Gesetzes Num
-
mer 47 aus dem Jahre … mit endgültigem Beschluss …
Zur Hölle mit den Vorschriften, möge Gott die Akten ver
-
brennen und die Beamten in alle Winde zerstreuen!
Ich rte auf zu lesen, zerknüllte den Brief und warf ihn
in Richtung Mülleimer. Wie üblich landete er daneben. Ich
ging in mein Zimmer und öffnete den Schrank, um mir
etwas zum Anziehen zu holen. Mein Blick el auf ein altes
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Sakko, das sich in einer Ecke vor mir versteckte. Ich schüt-
telte es aus und probierte es neugierig an, aber weil ich mir
darin so verloren vorkam wie der Klöppel in einer Glocke,
legte ich es wieder ab und stopfte es in eine Tüte. Dann zog
ich mich an, suchte in dem Tohuwabohu nach zwei gleich
-
farbigen Socken und ging zu Maja zurück, die, von den
Pfeilen der Lust niedergestreckt, auf der Seite lag.
Ich strich ihr die Locken beiseite und üsterte ihr ins
Ohr: »Ich muss was besorgen gehen.«
Sie bewegte sich nicht, öffnete nicht einmal die Lider,
sondern antwortete nur mit erotisch rauchiger Stimme:
»Das ist nicht dein Ernst. Warte doch noch, bis ich richtig
wach bin!«
»Das geht nicht. Ruf mich an!«
Sie gähnte. »Okay.«
»Dreh den Hahn im Bad zu, wenn du fertig bist, und
schliess die Tür ab, Maja, hörst du?«
»Okay, okay.«
Die drei wichtigsten Erndungen der Menschheit:
Elektrizität.
Alkohol.
Und Maja. Achtundzwanzig Jahre Erfahrung.
Ich drückte ihr einen Kuss auf den Rücken und ging hin
-
aus in den verkommenen Garten vor dem Haus. Ich lief
über das durstige Gras und an meinem Auto vorbei, das
vor dem Eingang kauerte wie ein Rhinozeros ohne Horn.
Am linken Kotügel war die Schutzplane hochgerutscht.
Ich zog sie wieder herunter, bis auch der platte Reifen ver
-
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deckt war. Dann überquerte ich die Strasse und kaufte mir
eine Zeitung, die erste seit fünf Jahren. Ich winkte ein Taxi
heran, liess mich in die Rückbank sinken, setzte meine Son
-
nenbrille auf und packte meine bescheidene Ausrüstung
aus. Zigarettenpapier, Tabak und eine Stopfmaschine. Ich
hasste die schnell abbrennenden Fertigzigaretten voll
-
rierter Mäuse und Arbeiterspucke! Während ich mir zehn
»anständige« Zigaretten drehte, die mir für den halben Tag
reichen würden, beobachtete ich im Rückspiegel die Augen
des Fahrers. Angewidert warf er mir wutentammte Bli
-
cke zu und ehte bei Gott um Beistand gegen den verirr-
ten Haschischraucher. Der Mann wusste ja nicht, dass ich
schon volle drei Tage nicht mehr bei Auni gewesen war. So
lange hatte ich es noch nie ohne sein marokkanisches Ha
-
schisch ausgehalten!
Ich stopfte die Zigaretten in meine Dose, liess die Scheibe
herunter, um mein Nikotin auf die Strasse zu blasen, und
beobachtete die Menschen, die, noch im Halbschlaf und
mit Sand in den Augen, zu ihrer Arbeit glitten. Dann al
-
lerdings gerieten wir in einen solchen Stau, dass ich mich
fragte, ob bei einem glichen Angriff auf unser Land die
Invasoren mit ihren Panzern überhaupt durchkämen.
Ich schlug die Zeitung auf, und sie enttäuschte mich
nicht: Chefredakteur war die Langeweile! Mühsam arbeitete
ich mich bis zur Nachrichtenseite durch.
»Das Islamische Museum ist beraubt worden?«, fragte
ich den Fahrer, ehrlich überrascht.
Er warf mir im Spiegel einen Blick zu, der schlimmer
war als jede Verunglimpfung meiner Mutter, dann antwor
-
tete er: »Herzlich willkommen auf der Erde, Pascha! Das

Shortlist Arabischer Booker-Preis (2014)

Ahmed Mourad
Blauer Elefant

Thriller aus Ägypten

Aus dem Arabischen von Christine Battermann


Softcover
ISBN 978-3-85787-486-4
Seiten 416
Erschienen 21. März 2018
€ 22.00 / Fr. 29.80

Der packende, surrealistische Psychothriller des ägyptischen Bestsellerautors

Jachja, Doktor der Psychologie, nimmt nach fünf Jahren selbstgewählter Isolation seine Arbeit in der forensischen Psychiatrie wieder auf. Sein erster Patient ist ein alter Bekannter: Scharîf ist des Mordes an seiner Frau verdächtig. Sollte er die Tat wirklich begangen haben und nicht geisteskrank sein, droht ihm der Galgen.

Was als Versuch beginnt, die offensichtliche Persönlichkeitsspaltung seines alten Freundes zu enträtseln, wird schon bald zu einem Höllentrip: Als Jachja, der Drogen jeder Art nicht abgeneigt ist, in einer ausschweifenden Nacht eine Pille mit einem sechsbeinigen Elefanten einnimmt, sieht er sich in eine andere Realität versetzt. Zusehends versinkt er in Halluzinationen, in einem Strudel aus Zaubersprüchen, geheimnisvollen Zahlen und einem Tattoo, das sich in einen Dämon verwandelt. Als sich schliesslich ein weiterer Todesfall ereignet, gibt er sich selbst die Schuld.

Der packende, surrealistische Psychothriller ist nach Vertigo und Diamantenstaub der dritte Roman des ägyptischen Bestsellerautors. Er war 2014 für den International Prize for Arabic Fiction (Shortlist) nominiert, wurde im selben Jahr von Marwan Hamed verfilmt und 2015 von der Egyptian Modern Dance Theatre Company auf die Bühne gebracht.

Pressestimmen

Ein Psychothriller, nichts für schwache Nerven.
— Cornelia Wegerhoff, Deutschlandfunk Kultur
Mourad lockt auch den härtesten Ratio-Fetischisten aus der Reserve. Wie er seine Hauptfiguren aufeinander projiziert, verdoppelt und dann wieder zur kalten Analyse verpflichtet, lässt sich nur mit Krimi-Guru-Qualitäten erklären.
— Ute Cohen, der Freitag
Blauer Elefant ist ein aufregender, surrealistischer Psychothriller mit Horrorelementen, routiniert gebaut und flott in kurzen, präzisen Sätzen geschrieben. Mourad spielt darin souverän mit den verschwimmenden Grenzen des menschlichen Verstandes.
— Dina Netz, Deutschlandfunk