LENOS
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LENOS POCKET 173
www.lenos.ch
Sumaya Farhat-Naser
Verwurzelt
im Land der Olivenume
Eine Palästinenserin im Streit für den Frieden
Herausgegeben von
Dorothee Wilhelm, Manuela Reimann und Chudi Bürgi
Lenos Verlag
Die arabischen Namen wurden soweit möglich in ihrer Schreibweise der
deutschen Aussprache angenähert. Zur Erleichterung der Aussprache wurden
betonte lange Silben mit einem Zirkumflex (
^
) versehen.
LENOS POCKET 173
Zweite Auflage 2015
Copyright © 2002 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Satz und Gestaltung: Lenos Verlag, Basel
Umschlag: Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich
Umschlagfoto: Resi Borgmeier
Printed in Germany
ISBN 978 3 85787 773 5
Inhalt
Vorwort 9
Einleitung 11
Leben in einem besetzten Land
Entwicklungen und Erfahrungen 17
Frauen arbeiten am Frieden
Ein Prozess und seine Grenzen 49
Liebe Daphna …
Dialog zwischen Ungleichen 71
Im Streit um die Grundlagen
Frauenfriedensarbeit im »Jerusalem Link« 87
Offener Streit und grössere Nähe
Prüfungen und Entscheidungen 101
Neue Dimensionen des Dialogs
Der Einfluss der deutsch-jüdischen Geschichte 123
Mythen und Realitäten im Widerspruch
Palästinensische und israelische Wahrnehmung
von Geschichte 131
Von allen vergessen
Palästinenserinnen und Palästinenser in Israel 153
Ringen um politische Strukturen
Interne Probleme der palästinensischen Gesellschaft 163
Es herrscht Krieg
Bruch der Zusammenarbeit? 185
Trauer in Palästina
Vom Umgang mit den verletzten Seelen 203
Von der Weigerung, Feindinnen zu sein
Ende und Ausblick 213
September 2004
Drei Jahre danach 221
Anhang 233
Die Herausgeberinnen 250
Palästina ist das Land der Olivenbäume. Sie prägen die Landschaft, und
sie symbolisieren für uns Heimat und Verbundenheit mit dem Land.
Olivenbäume werden sehr alt, sie überdauern Jahrhunderte, sind sehr
bescheiden in ihren Ansprüchen und sehr grosszügig im Geben. Sie
spenden Früchte, Öl, Holz und Seife. Standhaft und stolz bewahren sie
ihr Wissen und ihre Weisheit. In ihrem Schatten fühlen wir uns gebor-
gen, wir bewundern und lieben sie, wir pflegen und besingen sie. Oli-
venbäume sind gesegnete Bäume. Sie gehören zu unserem Leben.
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Vorwort
Der Nahe Osten brennt. Die Gewaltspirale dreht sich täg-
lich weiter. Die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenle-
ben des palästinensischen und des israelischen Volkes ist in
weite Ferne gerückt. Während der Arbeit an diesem Buch
waren es solche Sätze unzählige Male gehört und gele-
sen –, die angesichts der immer weiter eskalierenden Situa-
tion unsere Gedanken bestimmten.
Die andauernden Gewalterfahrungen zementierten in
den Köpfen der Betroffenen, ihrer Angehörigen, Nachba-
rinnen und Freunde ein Feindbild der »anderen Seite«. Die
Traumatisierungen reichen über Menschenleben und über
Generationen hinaus und schaffen kollektive Erfahrungen.
Diese Erfahrungen, die zu einer verzerrten Sicht »des Fein-
des« und seiner Absichten hren, verhindern ein nach-
barschaftliches Zusammenleben beider Völker nachhaltig.
Sie blockieren nicht nur Friedensverhandlungen, sondern
erschweren auch die alltägliche Annäherung und das ge-
genseitige Verständnis einzelner Menschen auf palästinensi-
scher und israelischer Seite.
Nur wenige haben die Logik der Konfliktparteien bisher
zu durchbrechen gewagt. Wer einen Dialog für den Frieden
mit der »anderen Seite« sucht, muss bereit sein, eigene Deu-
tungsmuster und das eigene Verständnis der Geschichte zu
hinterfragen. Dies haben palästinensische und israelische
Frauen entgegen allen Widerständen, auch denjenigen in
den eigenen Köpfen, versucht: Sumaya Farhat-Naser zeigt
in ihren Erfahrungsberichten und in ihren Konfliktgesprä-
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chen mit den israelischen Friedensfrauen Daphna Golan,
Gila Svirsky und Terry Greenblatt, welch schöpferische
Kraft darin liegt, die eigene, authentische Erfahrung und
ihren Kontext in Frage zu stellen. Dabei bleibt ihre Wahr-
nehmung bei aller Einfühlung in die »andere Seite« not-
wendigerweise subjektiv, einseitig und parteiisch – ein An-
spruch auf Neutralität und Objektivität kann und soll nicht
erhoben werden. Denn sie beschreibt aus ihrer Perspektive
ein asymmetrisches Verhältnis, das Verhältnis zwischen
israelischer Militärbesatzung und dem besetzten palästi-
nensischen Volk. Sumaya Farhat-Naser weiss sich auf einer
Gratwanderung. Aber sie weiss, dass Friedensarbeit darauf
basiert, neben der eigenen Leidensgeschichte auch die Lei-
den der anderen Seite gelten zu lassen und zu erinnern.
Die Stimmen der Friedensfrauen in Palästina und Israel
sind in den Verhandlungen um Frieden im Nahen Osten
kaum beachtet worden. Sie bieten keine Schwarzweisslösun-
gen, keinen Sofortfrieden. Ihre Gespräche sind ernsthafte,
beschwerliche, konfliktreiche Versuche, Netze zu knüpfen,
die ein Ende der Gewalt denkbar machen und einen frie-
densfähigen Umgang mit den Traumatisierungen auf bei-
den Seiten in Aussicht stellen.
Wir hoffen, mit unserer Arbeit dazu beizutragen, dass
diese Stimmen gehört werden. Unser Dank gilt Chudi
Bürgi für ihre Mitarbeit an diesem Buch, Rosmarie Kurz
r ihr Mitdenken bei seiner Entstehung, Willi Herzig für
seine Beratung sowie Matthias Hui für die Vermittlung von
Kontakten und Informationen.
Manuela Reimann, Dorothee Wilhelm, im Februar 2002
11
Einleitung
Vor einem Jahr rief mich ein Israeli namens Udi Levy an. Er
sagte, er habe meinen Artikel »Warum habt ihr zugewar-
tet?« in einer Schweizer Zeitung gelesen. Er fand ihn beein-
druckend und bat darum, ihn in hebräisch publizieren zu
dürfen. Udi hatte von Touristen von mir gehört und hatte
daraufhin mit mir Kontakt aufgenommen. Als er jetzt
meine Worte las, gab ihm das den Impuls, selbst etwas zu
tun. Tatsächlich hat er dann den Artikel übersetzt und in
der israelischen Zeitung Haaretz veröffentlicht.
Seit mehr als zwei Jahren erkundigt er sich immer wie-
der nach unserer Situation und ist jedesmal schockiert, in
welch verschiedenen Welten wir leben, obwohl er nur drei
Stunden von mir entfernt in einem Kibbuz in der Nähe von
Beerscheba wohnt. Neulich rief er an, entsetzt über das, was
er im Fernsehen gesehen hatte, und er wollte wissen, wie es
mir gehe. Ich begann zu berichten, und er lud mich ein, ihn
zu besuchen.
Er sagte: »Du brauchst dich nur ins Taxi zu setzen und
bis Beerscheba zu fahren; dort hole ich dich dann ab.«
»Ich darf mich nicht mehr als zwei Kilometer von hier
wegbewegen«, erwiderte ich, »und ich würde auf dem Weg
nach Beerscheba mindestens nfzehn Checkpoints über-
winden müssen. Wenn ich überhaupt durchkäme, rde
ich gegen Gesetze verstossen und mich strafbar machen,
sogar mein Leben stünde auf dem Spiel.«
Er konnte es nicht fassen. Er sagte, er könne überallhin
und an den Checkpoints müsse er nicht anhalten.
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»Du gerst eben zu denjenigen, zu denen ich nicht ge-
re«, sagte ich ihm. »Du hrst auf Strassen, die ich nicht
benutzen darf, und du hast ein Auto mit Kennzeichen, mit
denen ich nicht fahren darf.«
Eine Freundin schenkte ihm mein Buch Thymian und
Steine. Er schrieb mir, er habe es in einer Nacht durchge-
lesen, und er bedankte sich dafür, dass ich ihm die Augen
geöffnet hätte. Er drückte sein Entsetzen darüber aus, dass
er so vieles nicht gesehen habe und dass es nicht möglich
gewesen sei, diese Dinge zu verhindern. Er wolle dafür sor-
gen, dass mein Buch ins Hebräische übersetzt werde, und er
würde es dann rezensieren. Er wollte, dass wir uns kennen-
lernten und gemeinsam r Gerechtigkeit und Frieden ar-
beiteten. Udi ist ein Freund geworden. Er ruft regelmässig
an und schickt Mails. Wir warten auf die Zeit, da wir uns
treffen können, vielleicht in Jerusalem.
Meine Familie lebt seit Jahrhunderten in Palästina. Hier
wurde ich im Jahre 1948 geboren, im Dorf Birseit bei Je-
rusalem. Der Name Birseit bedeutet Ölbrunnen. Ich wurde
im Jahr der Staatsgründung Israels und somit der palästi-
nensischen Nakba (Katastrophe) geboren, als 700 000 Palä-
stinenserinnen und Palästinenser mit Gewalt vertrieben und
zu Flüchtlingen gemacht und ihre Dörfer zersrt wurden.
Weite Teile meiner Heimat Palästina wurden damals durch
die israelische Armee besetzt. Das Westjordanland und da-
mit mein Dorf kamen unter jordanische Herrschaft, viele
Menschen aus Birseit und ganz Palästina mussten fliehen.
Das Leben war hart für diejenigen, die fliehen mussten, und
ebenso für diejenigen, die blieben. Meine Kindheit war von
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Armut und Unsicherheit geprägt. Wir mussten hart arbei-
ten, um genug zu essen zu haben. Dies lehrte uns Kinder
teilen und gegsam sein. Ich bekam als Kind viel Liebe
und lernte, Verantwortung zu tragen und dankbar zu sein.
Meiner Mutter gelang es immer wieder, uns mit Geschich-
ten, Liedern und Spielen den Hunger vergessen zu lassen.
Wenn wir hungrig zu Bett gingen, warteten wir gespannt
und voller Hoffnung darauf, dass die Henne am Morgen ein
Ei legte.
Ich wuchs in einer patriarchalen Gesellschaft auf. Mein
Grossvater versuchte, die Mädchen so früh wie glich zu
verheiraten, um seine Familie von der Verantwortung für
die Töchter zu entlasten. Als ich vernahm, dass ich mit vier-
zehn verheiratet werden sollte, wehrte ich mich erfolgreich.
Ich blieb im Mädcheninternat Talitha Kumi bei Bethlehem
und kehrte erst zurück, als ich die Schule beendet hatte
und meine Pläne für ein Studium in Deutschland reif wa-
ren. Das Leben im Internat hat mich sehr geprägt und mir
meine Berufung – mich r Menschen und Menschlichkeit
einzusetzen klargemacht. Mit Hilfe meiner Mutter, mei-
ner Tante und der Schule konnte ich denn auch in Deutsch-
land Biologie, Geographie und Erziehungswissenschaften
studieren. Neben dem Studium arbeitete ich und konnte
mit meinem Einkommen meiner Familie in Palästina unter
die Arme greifen. Dies zeigte meinem Grossvater, dass auch
eine Tochter imstande ist, für die Familie zu sorgen und
Verantwortung zu übernehmen. Ich wurde selbstbewuss-
ter, und meine Familie begann die Frauen mehr zu achten,
so dass auch drei meiner Schwestern eine Ausbildung in
Deutschland absolvieren konnten.
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In Deutschland wurde ich als Palästinenserin sehr schnell
mit der deutsch-dischen Geschichte konfrontiert, die mir
bis anhin unbekannt gewesen war. Die Auseinandersetzung
der Deutschen mit Antisemitismus und Holocaust liess
keinen Platz für die palästinensische Geschichte. Wenn ich
von unseren Erfahrungen zu erzählen versuchte, bekam ich
oft Vorurteile gegeber den Palästinensern zu ren. Dies
war für mich sehr schmerzhaft. Es weckte aber auch meine
Neugier und motivierte mich, mich mit der Geschichte
zu befassen. Je mehr ich las, desto stärker identifizierte ich
mich mit den dischen Opfern. Ich erkannte, wie sehr die
palästinensische Geschichte ein Teil dieser deutsch-jüdi-
schen Geschichte ist. Tief berührt haben mich Zeugnisse
von Überlebenden des Holocaust und von Opfern wie Anne
Frank. Ich erfuhr durch diese Berichte auch viel darüber,
wie das Mitteilen eigener Gefühle andere Menschen be-
eindrucken und überzeugen kann. Immer besser lernte ich
es, meine eigene Geschichte zu erzählen und von unserer
Unterdrückung zu sprechen. Ich konnte aufzeigen, dass wir
Palästinenser ebenso wie die Juden für Unabhängigkeit und
Freiheit kämpfen, für ein eigenes Land und für Sicherheit.
Als ich nach dem Studium nach Palästina zurückkehrte,
war das Westjordanland in der Folge des Krieges von 1967
vom israelischen Militär besetzt. Ich erfuhr all die Re-
pressalien und Ungerechtigkeiten der Besatzung. Es ist oft
schwer, die Besatzer als Menschen zu sehen, wenn Familien,
auch die eigene, misshandelt werden, ihnen ihr Land weg-
genommen wird und die Kinder über Jahre der Gefahr aus-
gesetzt sind, erschossen zu werden. Es fällt schwer, zwischen
der Besatzung und den Menschen vom Volk der Besatzer zu
15
unterscheiden, wenn das Alltagsleben von Unterdrückung
gezeichnet ist. Die Wut ist oft gross, der Übergang zum
Hass nahtlos. Doch ich hatte inzwischen Juden und Jüdin-
nen kennengelernt, sogar Freundschaften geschlossen, und
ich hatte gelernt, dass wir es uns auf keinen Fall leisten kön-
nen, der Verbitterung und dem Hass Raum zu geben, wenn
wir irgendwann in Frieden miteinander leben wollen.
Neben meiner Lehrtätigkeit als Dozentin für Botanik an
der palästinensischen Universität Birseit engagierte ich mich
in der Frauen- und Friedensarbeit und r die Menschen-
rechte. Ich knüpfte viele Kontakte zu dischen Menschen
in Europa und allmählich auch zu israelischen Friedensakti-
vistinnen und begann, mit ihnen gemeinsame Projekte an-
zugehen. Diese Zusammenarbeit war alles andere als leicht.
Trotz unserer politischen Bildung und unseres Engagements
mussten beide Seiten zuerst lernen, miteinander zu sprechen
und viele Kränkungen zu ertragen. Manchmal schien es
sogar aussichtslos. Wir hatten einander während Jahrzehn-
ten als Feindinnen gesehen, wir kannten uns nicht, und wir
akzeptierten zu lange die Barrieren, die das Kennenlernen
verhindern sollten. Misstrauen und Angst dominierten die
Beziehungen. Dennoch fanden wir zueinander, weil wir an
die Möglichkeit eines Friedens glaubten und den Boden für
einen friedlichen Weg bereiten wollten. So haben wir trotz
aller Hindernisse seit Mitte der achtziger Jahre zusammen-
gearbeitet.
Doch das Scheitern des politischen Friedensprozesses
zwischen unseren Regierungen hat die gesamte Friedens-
arbeit gestoppt, ja in Frage gestellt. Seit dem Beginn des
Aufstandes im September 2000, der sogenannten zweiten
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Intifada, sind die Kontakte zwischen uns Friedensfrauen
abgebrochen. Heute, wenige Tage vor dem Jahresende
2001 und kurz vor der Drucklegung dieses Buches das
dank der intensiven Mitarbeit meiner Schweizer Freundin-
nen und Freunde Manuela Reimann, Dorothee Wilhelm,
Chudi Bürgi, Rosmarie Kurz und Willi Herzig entstehen
konnte , ist die politische Situation scheinbar hoffnungs-
los. Der Traum vom unbehinderten Reisen im eigenen Land
ist wie der Traum von Jerusalem und vom eigenen Staat
in weite Ferne gerückt. Die Spirale der Gewalt dreht sich
unerbittlich weiter. Aber die Gewalt kann uns nicht aus der
Welt schaffen. Sie kann auch die Olivenbäume nicht aus-
rotten.
Auf der Suche nach neuen Wegen für mein Friedens-
engagement entschloss ich mich, dieses Buch zu schreiben.
Ich möchte meine Erfahrungen der letzten Jahre – seit dem
Osloer Abkommen zwischen der palästinensischen Führung
und der israelischen Regierung festhalten. Ich möchte
meine Erlebnisse in der Friedensarbeit dokumentieren,
nicht nur die vielen Ängste, Verletzungen und Irritationen,
sondern eben auch die vielen kleinen Erfolge für ein Stück
Verständigung zwischen unseren Völkern. Dieses Buch soll
keine politische Analyse der Situation in Palästina sein. Es
handelt einfach von meiner Arbeit als Friedensaktivistin, als
Frau in Palästina.
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Leben in einem besetzten Land
Entwicklungen und Erfahrungen
Es liegt mir viel daran, mit der Erinnerung an einen hoff-
nungsvollen Tag zu beginnen.
Am 27. Dezember 1995 war unsere Begeisterung gross,
als die israelischen Soldaten aus Ramallah abzogen. Zehn-
tausende standen an den Strassen und wollten Zeugen des
historischen Ereignisses sein. Hohe Offiziere beider Seiten
stellten sich einander gegenüber auf und reichten einander
die Hände. Gesänge und Musik, Pfiffe und Hupen übertön-
ten den Motorenlärm der Fahrzeuge. »Verschwindet!« riefen
die Menschen den israelischen Soldaten zu. »Betretet nie
wieder unseren Boden! Das Blut unserer Kinder klebt für
immer an euren Händen.« Den palästinensischen Polizisten
riefen sie zu: »Willkommen in Palästina!«
Die palästinensischen Sicherheitskräfte waren verwirrt,
gehrt und eifrig bereit, ihre Pflicht zu erfüllen. Sie muss-
ten Palästina erst entdecken. Viele waren eben aus dem Exil
zurückgekehrt.
Am nächsten Tag wurden das Gefängnis und die Ver-
waltungsgebäude der israelischen Militärbehörden in Ra-
mallah geräumt. Von überall her kamen Menschen und
drängten ins Gefängnisgebäude. Dieses Symbol der Besat-
zung, das wir so verabscheut und gefürchtet hatten, sollten
wir nun zum erstenmal ohne Angst betreten. Vieles war
nicht wiederzuerkennen. Die Israelis hatten die Zeugnisse
des Grauens vor ihrem Abzug beseitigt. Die Wände der Fol-
terzellen und der Verhörräume waren eingerissen und der
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Schutt säuberlich vor die Tür geschaufelt. Einige Besucher
versuchten, ihre einstigen Zellen wiederzufinden. Sie schrit-
ten die Räume ab, fluchten, schlugen mit den Fäusten an
die Wände und weinten. Die Gefühle waren widersprüch-
lich: Da war die schmerzhafte Erinnerung an Erniedrigung
und Demütigung durch die Folter, und da war die unbän-
dige Freude darüber, dass es vorbei war.
Hoffnung auf Heimkehr
Viele Palästinenser und Palästinenserinnen hatten sich für
die Heimkehr entschieden, um am Aufbau der palästinen-
sischen Gesellschaft und ihres Staates mitzuwirken. Sie be-
gannen, Häuser zu bauen, Firmen zu gründen, Restaurants
und Läden zu eröffnen. Eine optimistische Stimmung brei-
tete sich aus, und die Menschen fühlten sich ermutigt.
Auch meine Schwester Hiâm, die seit fünfzehn Jahren in
San Francisco lebte und dort eine gute Arbeitsstelle hatte,
entschloss sich, nach Hause zu kommen. Ihr und zwei ihrer
Kinder wurde die Heimkehr erlaubt, ihrem Mann Issâm
und den drei anderen Kindern jedoch nicht. Issâm hatte
in den USA studiert und hatte es verpasst, sein Recht, in
Palästina zu wohnen, rechtzeitig zu erneuern. In Birseit
besitzt er zwei Häuser und Hunderte von Olivenbäumen.
Sein Schicksal zeigte, dass die Besatzung keineswegs zu
Ende war, sondern unerbittlich weiterherrschte über die
Palästinenser, die heimkehren wollten, und auch über die,
die nicht vertrieben worden waren. Mit der Fortsetzung des
Friedensprozesses hofften meine Schwester und ihr Mann
aber weiterhin, heimkehren zu können. Sie hatten ihr Ge-
schäft in San Francisco aufgegeben und lebten vier Jahre

Sumaya Farhat-Naser
Verwurzelt im Land der Olivenbäume

Eine Palästinenserin im Streit für den Frieden

Herausgegeben von Dorothee Wilhelm; Manuela Reimann; Chudi Bürgi


Lenos Pocket 173
Paperback
ISBN 978-3-85787-773-5
Seiten 250
Erschienen Februar 2015
€ 12.50 / Fr. 16.00

Sumaya Farhat-Nasers zweites Buch Verwurzelt im Land der Olivenbäume ist im Zeichen eskalierender Gewalt und wachsender Perspektivlosigkeit entstanden. Es beschreibt die erdrückenden palästinensischen Erfahrungen im Schatten des sogenannten Friedensprozesses mit Israel und vermittelt Einblicke in die palästinensische Gesellschaft, ihre politischen und sozialen Strukturen sowie in die Probleme ihrer Führung. Es berichtet zudem aus dem Innern der palästinensisch-israelischen Frauen-Friedensarbeit, dokumentiert anspruchsvolle Dialoge und Konfliktgespräche und analysiert die gegenseitigen Geschichtsmythen und ihre Wahrnehmung.

Damit ist der Autorin ein einzigartiges Bild der alltäglichen Mühen um Frieden und Gerechtigkeit gelungen, die kein Medienthema sind, die aber auf nachhaltige Weise jene Netze knüpfen, auf die eine politische und soziale Verständigung dereinst angewiesen sein wird.

Pressestimmen

Es ist ein Buch über Leiden und über die gewaltige Arbeit, nicht beim Erleiden stehenzubleiben, sondern Selbstbewusstsein, Widerstand und Zuversicht zu schaffen. Es ist politische Dokumentation und politisches Manifest zugleich.
— Freitag
Ein bewegendes Zeugnis für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts.
— Buchprofile